Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
säße er nicht hier.«
»Wir sollten einen Eid schwören, dass wir Stillschweigen wahren über alles, was heute Abend besprochen wird«, schlug Baudouin, ein großgewachsener und linkischer Mann, vor.
Gaspard war einverstanden, holte aus einer Truhe ein Kruzifix und legte es auf den Tisch. Sie alle berührten es mit der linken Hand, hoben die Schwurfinger der rechten und gelobten, mit niemandem außer den Anwesenden über das Treffen zu sprechen. Auch Michel leistete den Eid, obwohl er sich fragte, was Gaspard und seine Freunde bereden wollten, das derart geheim war, dass niemand davon erfahren durfte. Wo war er hier hineingeraten?
»Ich habe dir ja erzählt, wie de Guillory und Bischof Ulman Varennes zugrunde richten«, wandte sich Gaspard an ihn, nachdem sie sich wieder gesetzt hatten. »Ernaut, Raoul, Stephan und ich sind uns einig, dass Ulman als unser Stadtherr das größere Übel ist. Deshalb wollen wir zuerst gegen ihn vorgehen. Wenn es uns gelungen ist, ihm Zugeständnisse abzutrotzen, können wir versuchen, etwas gegen de Guillory und seinen Brückenzoll zu unternehmen.«
Michel nickte und schwieg abwartend.
»Varennes verdankt seinen Wohlstand allein uns Kaufleuten«, fuhr Gaspard fort. »Ohne unsere Väter und Großväter wäre unsere Stadt immer noch ein bettelarmes Bauerndorf; es gäbe keine Gilde, keine Münze, nicht einmal einen Markt. Und dennoch liegt die alleinige Macht über Varennes und seine Gesetze in den Händen des Bischofs und seiner Schöffen. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die wir nicht länger hinnehmen wollen.«
»Das Bistum muss uns endlich ein Mitspracherecht bei allen Belangen einräumen, die den Handel betreffen«, ergänzte Stephan Pérouse. Er war leicht untersetzt und hatte kinnlanges, dunkelbraunes Haar und ein rundliches Gesicht mit einem Spitzbart. Seine Augen glühten vor Eifer, wodurch er wie ein zorniger Faun wirkte. »Beim Marktzoll, beim Münzwesen, bei den Salzpreisen, auch bei der Gerichtsbarkeit – so, wie es in Metz und den Städten am Rhein schon lange üblich ist.«
»Dazu müsste er uns einen oder mehrere Sitze im Schöffenkollegium gewähren«, sagte Michel.
Das zwölfköpfige Schöffenkollegium verwaltete Varennes im Auftrag des Bischofs, traf alle wichtigen Entscheidungen und bildete das Niedergericht unter dem Vorsitz des Schultheißen. Außer Tancrède Martel gehörten ihm Jaufré Géroux und andere Ministerialen an.
»Genau das streben wir an«, erwiderte Gaspard. »Nur so können wir Ulmans Willkür ein Ende machen.«
»Das läuft darauf hinaus, dass er teilweise auf das Münz- und Zollrecht und andere Befugnisse verzichtet«, gab Michel zu bedenken. »Darauf wird er sich nicht einlassen. Auf diesen Regalien fußt seine Macht.«
»Natürlich wird er das nicht freiwillig tun. Wir müssen ihn zwingen.«
»Und wie?«
In Gaspards Augen trat ein kalter Glanz. »Du erinnerst dich, wie die Mainzer einst ihre Freiheit errungen haben?«
Wie jeder Kaufmann im Heiligen Römischen Reich kannte Michel die Geschichte der Reichsstadt und ihres unermüdlichen Kampfes gegen den Erzbischof: Vor fünfundzwanzig Jahren hatten die Mainzer den verhassten Kirchenfürsten eingesperrt und so lange festgehalten, bis er sich bereit erklärt hatte, einen großen Teil seiner Macht an die Bürger abzutreten. Als Michel klar wurde, worauf Gaspard hinauswollte, bekam er ein flaues Gefühl im Magen. »Nein. Das könnt ihr nicht tun. Das ist Irrsinn.«
»Ich sage ja nicht, dass wir fünf allein gegen Ulman vorgehen sollen«, erwiderte Gaspard. »Natürlich müssen wir zuerst Verbündete finden. Die Handwerker und freien Bauern leiden genau wie wir unter den gegenwärtigen Zuständen. Gewiss können wir einige ihrer Bruderschaften für unsere Pläne gewinnen, wenn sie dafür einen Schöffen stellen dürfen.«
»Und dann?«, fragte Michel. »Entführen wir Ulman und sperren ihn ein?«
»Ja«, antwortete Gaspard geradeheraus.
Fassungslos blickte Michel seinen Freund an. Gaspard meinte tatsächlich ernst, was er sagte. Gewiss, er war schon immer ein Hitzkopf gewesen, mit einem Hang zu radikalen Lösungen – aber so weit wäre er früher nie gegangen. Er hat sich verändert. Dieser Zorn, diese Bitterkeit waren vor drei Jahren noch nicht da.
»Ein Bischof ist Tag und Nacht von Waffenknechten, Dienern und Geistlichen umgeben. Wie wollt ihr an ihn herankommen?«
»Da findet sich eine Möglichkeit. Etwa, wenn er sich zum Gebet zurückzieht. Oder wenn er am Fluss
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