Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
dichtem Wald. Gelegentlich fuhren sie an kleinen Gehöften und Dörfern vorbei. Jean und Michel winkten den Leuten am Ufer, die ihnen fröhliche Grüße zuriefen.
Nach zwei Tagen schließlich erreichten sie Metz. Die Stadt lag an der Mündung der Seille in die Mosel, an der Kreuzung zweier alter Römerstraßen, und war die größte Ansiedlung im Umkreis von vierzig Wegstunden. Sie besaß fast zehnmal so viele Einwohner wie Varennes und verfügte über zwei große Märkte, was Metz zum bedeutendsten und reichsten Handelsplatz zwischen dem Rhein und der Champagne machte.
Vor den Anlegestegen des Flusshafens, zwischen den Fischerbooten und Lastkähnen, tummelten sich Schwäne. Birken und Trauerweiden säumten die Mosel und streichelten mit ihren ausladenden Ästen das ruhig dahinströmende Wasser. Michel und Jean vertäuten das Salzschiff, wuchteten mit der Hilfe der beiden Söldner den Wagen auf den Steg, spannten den Ochsen ein und begannen, ihre Waren umzuladen. Als sie fast fertig waren, tauchte ein städtischer Zöllner auf, sah sich die Fässer und Kisten an und setzte anhand seiner Schätzung des Warenwertes den Einfuhrzoll fest. Einige Münzen wechselten den Besitzer, und sie bekamen die Erlaubnis, ihre Güter zum Markt zu bringen. Die Söldner blieben unterdessen beim Salzschiff und genehmigten sich einen Krug Bier.
Metz lag am Ostufer der Mosel, eingebettet in die Hügel; folglich gab es viele enge Treppen und steile Gassen und kaum ebene Straßen. Die Patrizierhäuser und viele wichtige Gebäude, die Gildehallen etwa und die alte Basilika, bestanden aus ockerfarbenem Jaumont-Stein, auch Sonnenstein genannt, weil er hell das Licht reflektierte, was eine eigentümliche, beinahe magische Stimmung schuf. Nicht weniger beeindruckend waren die zahlreichen Geschlechtertürme nach lombardischem Vorbild, in denen die mächtigsten Kaufherren mit ihren Familien lebten.
Die Menschenmassen auf Straßen und Plätzen konnten sich beinahe mit jenen in Mailand messen. Besonders in den engeren Gassen herrschte ein solches Gedränge, dass die beiden Brüder mit ihrem Ochsenkarren nur langsam vorankamen. So war der Vormittag bereits weit fortgeschritten, als sie endlich den Place de Vésigneul erreichten, den großen Markt außerhalb der Stadtmauern nahe der Seille, vor vielen Jahren gegründet von Kaufleuten, die sich der Kontrolle des Bischofs entziehen wollten. Zwar wäre es einfacher gewesen, die Waren zum alten Markt auf dem Place de Chambre unterhalb der Basilika zu bringen, doch dort waren Michel die Standgebühren zu hoch.
Auf dem Place de Vésigneul gab es Hallen für jede große Zunft, für die Gewandschneider, die Tuchmacher, die Schmiede, die Gerber. In der benachbarten Rue du Changé erhob sich protzig die Wechselbörse, die Heimat der Geldwechsler und -verleiher. Das Geldgeschäft in Oberlothringen lag fast gänzlich in den Händen lombardischer Bankiers, die vor einigen Jahren in Metz Fuß gefasst hatten und mit ihren Darlehen an kirchliche und weltliche Herren zu Reichtum gekommen waren.
Der Markt war riesig, und Michel vernahm eine Vielzahl von Dialekten und Sprachen, meist Latein, die Lingua Franca der Christenheit. Die Händler kamen aus Köln, Worms, Mainz, Frankfurt, Huy, Antwerpen, Marseille, Montpellier, sogar aus Wien und Ungarn, und sie boten alle erdenklichen Güter feil, vor allem aber Getreide, Vieh, Wolle, Leder, Wein und Tuche.
Michel und Jean fuhren in eine der Markthallen und luden die Waren ab. Da es von potenziellen Käufern nur so wimmelte, dauerte es trotz der großen Konkurrenz nicht lange, bis die ersten Leute an ihren Stand kamen. Michel war sofort in seinem Element. Er pries die Schafswolle an, offerierte der Kundschaft einen Schluck von seinem Wein und ließ das Salz durch seine Finger rieseln, um auf seine besondere Güte hinzuweisen. Er sprach selbstbewusst, blieb jedoch immer höflich, um niemanden zu verärgern. Wenn er jemanden so weit hatte, dass er kaufen wollte, begann er nach allen Regeln der Kunst zu feilschen.
Jean hielt sich unterdessen im Hintergrund, so wie er es Pater Jodocus erklärt hatte: Während Michel Geschäfte machte, kümmerte er sich um die übrige Arbeit, räumte leere Kisten und Fässer weg und volle nach vorne, fütterte den Ochsen und passte auf, dass nichts gestohlen wurde. Regelmäßig zählte er ihre Einnahmen und gab Michel den neuesten Stand durch. Es lief besser als erwartet. Gegen Mittag hatten sie bereits zwei Pfund Silber verdient, und ihre
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