Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
andere an ihrer Stelle hätte den steinalten Wallach längst zum Abdecker gebracht.
Während er ihr half, die Tiere zu füttern, plauderten sie über dies und das. Isabelle hatte tatsächlich kaum noch Ähnlichkeit mit dem jähzornigen und ewig unzufriedenen Wildfang aus seiner Erinnerung. Sie war klug, schlagfertig und geistreich und brachte ihn mehr als einmal zum Lachen. In ihrer Gegenwart dachte er zum ersten Mal seit seiner Heimkehr nicht an die zahlreichen Sorgen, die ihn bedrängten.
Schließlich kam Gaspard nach Hause und begrüßte ihn mit Handschlag. »Gehen wir nach oben. Die anderen werden sicher gleich da sein.«
Michel wurde bewusst, dass er völlig vergessen hatte, weshalb er ursprünglich hergekommen war. Mit einem Anflug von Bedauern verabschiedete er sich von Isabelle.
»Auf Wiedersehen, Herr de Fleury.« Sie knickste spöttisch. »Ich hoffe, Ihr besucht mich bald wieder.«
Als sie den Hof verließen, warf Michel ihr einen letzten Blick zu. Er ertappte sich bei dem Wunsch, Gaspard hätte sich ruhig etwas länger Zeit lassen können.
»Ich sehe, dir ist die Wartezeit nicht lang geworden«, sagte sein Freund mit einem feinen Lächeln. »Habt ihr euch gut unterhalten, meine Schwester und du?«
»Du könntest wenigstens so tun, als täte dir dein ›Missgeschick‹ leid«, erwiderte Michel.
»Die Mönche von Longchamp haben gefeilscht wie die Fischweiber. Ich bin einfach nicht früher losgekommen. Klingt das einigermaßen glaubhaft?«
»Nein.«
Gaspard grinste. »Also gut, ich gestehe. Ich wollte euch die Gelegenheit geben, euch etwas besser kennenzulernen. Ungestört.«
»Wäre das nicht ohne dieses durchsichtige Manöver gegangen?«
»Ich wollte dich überraschen. Hättest du gewusst, was auf dich zukommt, hättest du vor lauter Aufregung nur wirr dahergestammelt.«
»Vor lauter Aufregung?«, erwiderte Michel gereizt. »Warum sollte ich wegen Isabelle aufgeregt sein?«
»Glaubst du, mir fällt nicht auf, wie du sie ansiehst?«
»Und wenn schon. Sie ist eine sehr schöne Frau, das hast du selbst gesagt.«
»Beruhige dich. Ich habe doch überhaupt nichts dagegen.«
Michel blieb im Flur stehen. »Gibt es vielleicht etwas, über das wir reden sollten, Gaspard?«
Sein Freund betrat den Gesellschaftssaal und spähte aus dem Fenster. »Ein andermal. Jetzt haben wir Wichtigeres zu tun. Da kommen auch schon Stephan, Raoul und Ernaut.«
Michel nahm sich von dem Wein, der auf dem Tisch stand, und behielt den ersten Schluck lange im Mund. Es war nicht zu übersehen, welche Absichten Gaspard verfolgte. Michel wusste nicht, was er davon halten sollte. Gewiss, Isabelle war eine Frau, um die ihn jeder Mann beneiden würde, und er fühlte sich zu ihr hingezogen. Und doch – all das kam sehr plötzlich. Sein Vater war gerade gestorben, und er hatte wahrlich anderes zu tun, als eine Familie zu gründen.
Er schluckte den Wein hinunter. Jetzt war nicht der richtige Augenblick, um darüber nachzudenken. Für das anstehende Treffen brauchte er einen kühlen Kopf.
Just in diesem Moment kamen Vanchelle, Baudouin und Pérouse herein. Michel begrüßte die drei Kaufleute distanziert. Keinen dieser Männer betrachtete er als seinen Freund. Vanchelle hielt er für einen Langweiler, Baudouin für einen verkniffenen Pfennigfuchser, und Pérouse erweckte ständig den Eindruck, als platze er gleich vor Wut. Schon früher hatte Michel nicht verstanden, warum Gaspard sich mit ihnen abgab.
Während sie den Willkommenstrunk einnahmen, berichtete Pérouse von der Messe in Provins, auf der Vanchelle, Baudouin und er bis vor einigen Tagen gewesen waren. Schließlich setzten sie sich an den Tisch, und Gaspard ergriff das Wort: »Ich danke euch, dass ihr heute Abend gekommen seid. Ihr alle wisst, worum es geht. Ich schlage also vor, dass wir sofort beginnen und Michel in unsere Pläne einweihen.«
Michel beschloss, sich zurückzuhalten, bis er mehr über die Absichten der kleinen Gruppe wusste. Gaspard schien ihr Wortführer zu sein, so viel stand fest. Die anderen vermochte er nicht einzuschätzen. Er wusste weder, wie sie sich während seiner Abwesenheit als Kaufleute geschlagen hatten, noch, welches Ansehen sie in der Stadt und der Gilde genossen.
»Können wir ihm vertrauen?«, fragte Vanchelle und streifte Michel mit einem Blick. Seit einem schrecklichen Unglück vor vielen Jahren hatte er eine verbrannte Wange.
»Michel ist mein bester und ältester Freund«, antwortete Gaspard. »Würde ich ihm nicht trauen,
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