Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Michel, obwohl er mit dergleichen gerechnet hatte. »Ich bin sicher, es ist nicht so hochwertig wie meines.«
»Hochwertig oder nicht, Ihr wart zu spät.« Der Truchsess rief einen Diener. »Man wird Euch heißen Wein bringen, damit Ihr Euch stärken könnt – Ihr bietet ja ein Bild des Jammers. Wenn Ihr getrunken habt, verschwindet. Ich will Euch nicht mehr sehen.«
Nachdem Ivo gegangen war, setzte sich Michel zu Jean und den Söldnern auf die Mauer einer Regenzisterne und trank von dem Wein, den der Diener wenig später brachte. Er war so wütend, dass er den Becher am liebsten quer über den Hof geschleudert hätte. »Verdammt sollst du sein, Ulman«, murmelte er leise.
Juli 1187
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
M ichel tat sein Bestes, um zu retten, was zu retten war. Eilends reisten Jean und er nach Trier und boten das Salz auf dem Markt der Bischofsstadt an. Allerdings konnten sie wegen der bevorstehenden Gildeversammlung, an der Michel unter allen Umständen teilnehmen musste, nicht lange bleiben. Ihm blieb folglich nichts anderes übrig, als das Salz billig abzustoßen, denn es wieder nach Hause zu transportieren und unterwegs noch einmal zu verzollen, kam nicht infrage. So erzielte er einen Preis pro Fuder, der gerade einmal einen knappen Denier über dem Einkaufspreis lag. Zog man von den Einnahmen Gaspards Anteil, den Söldnerlohn, das tote Packpferd und die Wegezölle ab, hatte er auf dieser Reise beträchtlichen Verlust gemacht.
Michel konnte sich nicht erinnern, jemals so wütend gewesen zu sein. Mehr noch als das verlorene Geld ärgerte ihn, dass sein Ruf als verlässlicher Kaufmann Schaden genommen hatte. Und alles nur, weil ein herrischer Bischof seine Macht hatte demonstrieren wollen.
Wenigstens hatten sich die Waren aus Metz gut verkauft: Die Geldkatze, die Michel nach seiner Rückkehr von Isoré Le Roux bekam, enthielt eine erkleckliche Menge Silber – nicht genug für ein neues Saumpferd, aber immerhin ausreichend, um die laufenden Kosten der nächsten Wochen zu decken. Er übergab dem Kleinkrämer die Handelsgüter, die er in Trier erworben hatte, hauptsächlich englische Wolle und Tuchfarben aus Flandern. Wenn es Isoré gelänge, dafür einen ähnlich guten Preis herauszuschlagen wie für die Waren aus Metz, konnte er vielleicht einen Teil seiner Verluste ausgleichen. Groß war seine Hoffnung jedoch nicht. Über die Champagne-Messen war im Mai und Juni viel Wolle von hoher Güte nach Varennes gekommen, und die Nachfrage befand sich allerorten im Keller.
Am Abend nach seiner Rückkehr und einen Tag vor der Gildeversammlung brachte Michel die geliehenen Saumpferde zurück.
»Wie war die Reise?«, erkundigte sich Gaspard, als sie die Tiere zu den Ställen führten. »Habt ihr es noch rechtzeitig geschafft?«
»Nein. Aber ich konnte das Salz in Trier verkaufen, weswegen sich der Schaden in Grenzen hält«, log Michel. Er wollte nicht, dass Gaspard Mitleid mit ihm hatte und womöglich auf die Idee kam, auf seinen Anteil an dem Geschäft zu verzichten.
»Trotzdem ist es eine Schweinerei, was Ulman getan hat. Hätte er nur einen Funken Anstand im Leib, würde er für deinen Verlust aufkommen.«
Ohne darauf einzugehen, holte Michel einen Beutel mit Silber hervor. »Hier: dein Anteil, wie versprochen. Noch einmal tausend Dank, dass du mir geholfen hast. Ohne dich wäre ich verloren gewesen.«
»Nun, dafür sind Freunde da, oder?«, erwiderte Gaspard lächelnd.
»Ist deine Schwester zu Hause?«
»Sie ist oben in ihrer Kammer und probiert ein neues Kleid an.«
»Erlaubst du, dass ich sie dir für zwei Stunden entführe? Sie ist mir noch einen Spaziergang schuldig.«
Gaspard blickte ihn vielsagend an, und Michel erwartete, dass sein Freund ihn nun rundheraus fragen würde, ob er um Isabelles Hand anhalten wolle – mit diesem Gespräch rechnete er seit jenem Abend, als sie von Pérouse, Vanchelle und Baudouin unterbrochen worden waren. Doch Gaspard sagte nur: »Natürlich. Aber bring sie zurück, bevor es dunkel wird. Wenn man euch nach Einbruch der Nacht zusammen sieht, gibt es nur Gerede.«
Interessant, dachte Michel, als er die Treppe hinaufstieg. Nicht einmal eine Andeutung hat er gemacht. Hatte Gaspard seine Absichten revidiert? Möglicherweise hatte er nach ihrem Streit beschlossen abzuwarten, wie sich ihre Freundschaft entwickelte. Gewiss, sie hatten sich längst wieder versöhnt. Dennoch, die Auseinandersetzung hatte gezeigt, dass es beträchtliche Differenzen zwischen ihnen gab –
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