Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Krüppel versammelten, während sie tafelten, denn die Statuten verlangten, dass die Schwurbrüder ihr Essen mit den Armen teilten. Die Diener würden ihnen später die Reste hinunterbringen.
Während des Essens besprachen die Kaufleute Angelegenheiten der Gilde. Besonders das Schicksal von Thibaut d’Alsace, der kürzlich wegen eines heimtückischen Überfalls sein Vermögen verloren hatte, bewegte die Gemüter.
»Ich war in den Vogesen unterwegs, als sie kamen«, berichtete der Kaufmann, der immer noch sichtlich mitgenommen aussah. »Sechs, sieben abgerissene Gestalten, Vogelfreie vermutlich. Sie schlugen mich nieder, raubten mein Geld, mein Pferd, meinen Wagen, all meine Güter. Nun bin ich ruiniert – und muss doch Gott danken, dass sie mir wenigstens mein Leben gelassen haben.«
Viele Schwurbrüder schüttelten betroffen die Köpfe. Es wurden Verwünschungen gemurmelt, Flüche, die den Räubern galten. Was d’Alsace erlitten hatte, war ein Schicksal, das jeder an dieser Tafel fürchtete.
»Die Gilde wird Euch in Eurer Notlage beistehen«, sagte Géroux. »Ihr bekommt sechs Pfund in Silber aus der Gildekasse zur Deckung Eurer Ausgaben, damit Ihr imstande seid, wieder auf eigenen Füßen zu stehen.«
D’Alsace verneigte sich tief. »Ich danke Euch, Gildemeister. Ich danke euch allen, meine Brüder. Mögen Gott und alle Erzengel euch schützen.«
»Herr de Fleury«, sprach Charles Duval Michel an. »Erzählt uns doch von Eurem ersten großen Geschäft. Ich hörte, Ihr hattet dabei eine herzerwärmende Begegnung mit Bischof Ulman und Martel, unserem geliebten Schultheiß.« Duval war einer der klügsten Köpfe der Gilde und ein Zyniker vor dem Herrn, aber wahrlich kein schöner Mann. Obwohl er noch keine vierzig Jahre zählte, war sein blassblondes Haar bereits schütter und lag wie verdorrtes Gras auf der bleichen Haut seines Schädels. Der dünne Bart war nachlässig gestutzt, und das Gewand fiel über schmale Schultern und einen mageren Leib. Überdies war er dem Wein nicht abgeneigt: Ein Diener füllte soeben zum dritten Mal seinen Kelch.
»Herzerwärmend war es in der Tat«, erwiderte Michel mit dünnem Lächeln. »Ich möchte euch nicht mit Einzelheiten langweilen, daher in aller Kürze: Ich sollte dem Grafen von Sponheim acht Fässer Salz liefern. Es war ein sehr einträgliches Geschäft – oder wäre es gewesen, wenn Bischof Ulman nicht kurzerhand mein Salzschiff beschlagnahmt hätte, um Reichskanzler Johann eine bequeme Heimreise zu ermöglichen. Ich konnte nicht pünktlich liefern, das Geschäft ist geplatzt, und ich musste das Salz in Trier zu Schleuderpreisen verkaufen.«
»Ein Einstand als Kaufmann, wie man ihn sich wünscht«, murmelte Marc Travère.
»Konntet Ihr Bischof Ulman nicht davon überzeugen, wie wichtig dieses Geschäft ist?«, erkundigte sich Catherine Partenay.
»Wieso hätte ich das tun sollen? Ich liebe unseren Bischof wie jeder gute Christ in dieser Stadt und opfere mit Freuden mein Vermögen, wenn ich ihm nur einen Gefallen erweisen kann.«
Gelächter erfüllte den Saal. Doch nicht bei allen kam der Scherz an: Géroux und die anderen Ministerialen runzelten missbilligend die Stirn.
»Ich habe diese Geschichte ebenfalls gehört«, sagte der Gildemeister. »Leider habt Ihr nicht alles erzählt. Beispielsweise habt Ihr uns verschwiegen, dass Ihr Euch Bischof Ulman widersetztet, als er mit seiner Bitte an Euch herantrat.«
»Wie gesagt, ich wollte Euch nicht mit Einzelheiten langweilen.«
»Euer Verhalten war unklug«, sagte Géroux mit schneidender Stimme. »Ihr wisst, dass es das Recht des Stadtherrn ist, über den Besitz seiner Bürger zu verfügen, wie es ihm beliebt. Hättet Ihr Euch gefügt, wäre Bischof Ulman Euch gewiss entgegengekommen.«
Michel bezweifelte das nach wie vor, doch er verzichtete auf eine Erwiderung. Er wollte nicht gleich bei seiner ersten Gildeversammlung für Missstimmung sorgen.
Gaspard hingegen schien ein wenig Streit gerade recht zu kommen. »Dieses Recht ist veraltet und überholt«, widersprach er. »Bischof Jean-Pierre und sein Vorgänger haben nie davon Gebrauch gemacht. Sie haben unseren Besitz stets geachtet.«
Géroux richtete einen bohrenden Blick auf ihn, und Michel spürte sofort die aufgestauten Spannungen zwischen den beiden Männern. »Solange der Bischof es nicht abschafft, ist es gültig. Muss ich Euch wirklich diesen elementaren Grundsatz unseres Rechtswesens erklären?«
»Wenn Ulman es nicht abschaffen will, müssen
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