Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
nicht auf das, was die Kirche sagt. Und sie sollte nicht damit hinter dem Berg halten, wenn sie einen Mann erobern will.«
Immer, wenn Lutisse von ihrem und Gaspards Liebesleben anfing, verspürte Isabelle das Bedürfnis, sich die Ohren zuzuhalten. »Hab Gnade und erspar mir die Einzelheiten.«
»Also – hast du?«
»Natürlich nicht. Alice war die ganze Zeit dabei.«
»Ich werde mit deiner Mutter reden. Sie ist zu vorsichtig. Wie wollt ihr euch richtig kennenlernen, wenn immerzu jemand auf euch aufpasst? Überhaupt sorgt sie sich viel zu sehr um deine Tugend. Eine Frau muss Erfahrungen sammeln, bevor sie in die Ehe geht.«
Isabelle stöhnte. »Bitte fang nicht wieder damit an.«
Lutisse rückte nah an sie heran. »Du hast mir nie erzählt, ob du noch Jungfrau bist.«
»Ich muss jetzt essen und kann dir leider nicht antworten.«
Ihre Schwägerin ließ nicht locker. »Bevor dein Bruder um mich warb, traf ich mich eine Weile mit einem Schustergesellen – Fluvant war sein Name. Am Anfang haben wir uns nur ein wenig angefasst, aber irgendwann wollten wir es richtig machen. Natürlich haben wir aufgepasst – das Letzte, was wir wollten, war ein Kind. Ich sage dir, es war herrlich. Du solltest es auch versuchen. Die Männer behaupten zwar immer, dass sie eine Jungfrau heiraten wollen, aber in Wahrheit ist ihnen eine Frau mit Erfahrung hundertmal lieber. Dein Bruder hat sich in unserer Hochzeitsnacht jedenfalls nicht beschwert. Isst du nichts mehr?«, fragte Lutisse, als sie den Brotkanten hinlegte.
»Irgendwie ist mir gerade der Appetit vergangen. Ich gehe jetzt zu Bett.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Gute Nacht, Lutisse«, flötete Isabelle und ließ ihre Schwägerin stehen.
Als sie wenig später auf ihrer Schlafstatt lag, lachte sie leise in sich hinein. Lutisse war eine Seele von Mensch, eine gütige Person und eine wunderbare Frau – und gleichzeitig das verdorbenste Weibsstück, das sie kannte. Aber mit einem hatte ihre Schwägerin recht: Eine Frau tat gut daran, Erfahrungen zu sammeln. Niemand wusste das besser als Isabelle.
Es war vor gut einem Jahr gewesen, dass sie Aleaume kennengelernt hatte. Aleaume war ein Ritter aus der Normandie, ein paar Jahre älter als sie, der auf dem Weg ins Heilige Land gewesen war, um für das Königreich Jerusalem gegen die Sarazenen zu kämpfen. Allzu eilig hatte er es mit seinem Kreuzzug jedoch nicht gehabt, und so war er einige Wochen in Varennes geblieben, um den Sommer an der Mosel zu genießen.
Isabelle nannte ihn insgeheim »den ersten Versuch«.
Sie erinnerte sich noch genau an ihre erste Begegnung. Es war auf dem Viehmarkt gewesen, wo die Stadtbauern den Gründungstag ihrer Bruderschaft gefeiert hatten. Fast die halbe Stadt hatte sich auf der Wiese vor der Gerichtslinde vergnügt, sich an billigem Bier und Schweinebraten gelabt und verschiedene Wettkämpfe ausgetragen. Isabelle langweilte sich bald, denn Gaspard hatte wieder einmal nichts Besseres zu tun, als sich den ganzen Morgen mit Pérouse, Vanchelle und Baudouin über den Bischof, das Domkapitel und die Ministerialen zu ereifern. Als es ihr zu dumm wurde, setzte sie sich von ihrer Familie ab und machte einen Spaziergang über die Festwiese.
Am Flussufer maßen sich die Männer der Bruderschaften im Ringen. In den Vorjahren hatten stets Raymond Fabre, Jean Caboche von der Bruderschaft der Schmiede oder der älteste Sohn von Archambaud Leblanc den Wettkampf für sich entschieden. Diesmal jedoch waren sie alle chancenlos. Ein breitschultriger Kerl mit wildem blondem Haar und ansteckendem Lachen bezwang jeden von ihnen mit wenigen Griffen, selbst Caboche, der als der stärkste Mann Varennes’ galt. Schweiß glitzerte auf seinen Armen und den Brustmuskeln, während er seine Gegner zu Boden rang. Isabelle konnte nicht anders, als ihm eine Stunde lang zuzuschauen. Der Fremde sah nicht übermäßig gut aus – und doch fühlte sie sich zu ihm hingezogen, auf eine Art und Weise, wie sie es nie zuvor erlebt hatte.
Natürlich blieben ihre Blicke nicht unbemerkt. Nachdem er den Sieg davongetragen hatte, kam er zu ihr. »Aleaume de Barentin«, stellte er sich vor, und seine grünen Augen glitzerten. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«
Isabelle nannte ihm ihren Namen, woraufhin er sich verneigte und ihr die Hand küsste. »Erlaubt mir, dass ich Euch diesen Sieg schenke, schöne Dame. Gewährt Ihr mir im Gegenzug diesen Tag?«
Isabelle willigte ein: weil sie dieses alberne Fest satthatte, weil
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