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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Handbewegung und einem Kopfnicken bejaht
sie. Bevor ich mich überhaupt in meiner unangenehmen Situation zurechtfinde,
beginnt die Hansen schon zu reden.
    „Eigentlich
sind mir Journalisten zuwider. Sie verdrehen einem ständig die Worte im Mund.
Ich hoffe, Sie sind eine Ausnahme, mein lieber Herr Hahn“, befragt mich die
Chefin rigoros, dann wechselt sie das Thema. „Ich war immer ein sehr fleißiger
Mensch, müssen Sie wissen. Ich habe viel gelesen, mich auf meinem Gebiet stets
weitergebildet. Und die Geschichte lehrt uns, dass Führungspersönlichkeiten
kein gutes Ende nehmen. Das lässt sich, angefangen bei Gaius Julius Caesar über
Jesus von Nazareth bis hin zu Napoleon, Hitler und Honecker, historisch
nachweisen“, erklärt sie mir lakonisch, ohne ihr zynisches Lächeln zu
unterdrücken. Was sie damit allerdings aussagen will, ist mir nicht ganz klar.
Ihre klugen Augen mustern mich mit dem hypnotischen Blick einer Schlange. Die
winzigen Falten um ihre Mundwinkel kommen von einem Lächeln, das plötzlich
erscheint, aber sich ebenso plötzlich wieder verflüchtigt.
    „Bedauerlicherweise“,
meint sie herablassend, „sind die meisten Menschen in Ihrer auf Gewinn
orientierten Gesellschaft dem Tode geweiht. Auch wenn Sie es nicht wissen: Sie
alle werden dem unausweichlichen Untergang Ihrer materialistischen Ideologien nicht
entfliehen können. Ihr tretet die himmlischen Gesetze mit Füßen und tanzt dabei
unverhohlen um euer geliebtes Goldenes Kalb. ‚Man sieht einen Stern, der vom
Himmel auf die Erde fallen wird. Ihm hat man den Schlüssel zu dem Schacht
gegeben, der in den Abgrund führt. Und er wird den Schacht des Abgrundes
öffnen. Dann steigt Rauch aus dem Schacht auf, wie aus einem großen Ofen, und
Sonne und Luft werden verfinstert durch den Rauch aus dem Schacht’. Diejenigen,
die den Versündigungen in Ihrer säkularisierten Gemeinschaft überdrüssig sind,
werden unwiderruflich zum Wort Gottes zurückkehren. Schon Dostojewski
veranschaulichte in seinem vortrefflichen Meisterwerk ‚Die Brüder Karamasow’
sehr überzeugend, dass Freiheit viel schwerer zu ertragen ist, als Unterordnung.
Denn die Sehnsucht des Menschen nach dem Sinn des Lebens, nach Größe, Glück und
Geborgenheit wird nie aufhören. Deshalb werden sie demütigt heimfinden zum
wahren Glauben und die grenzenlosen Liebe unseres Schöpfers empfangen. Nur ich
kann diese ewigen Wünsche erfüllen, denn ich bin eine Auserwählte. Nur ich bin
befähigt dem zukünftigen Menschengeschlecht den Weg in Dimensionen des Seins zu
weisen, die weit über seine irdische Existenz hinausführen.“
    Ich
weiß vorerst nicht, was ich von diesem zusammenhangslosen Sprachdurcheinander
halten soll. Margot Sofia Hansen ist fünfundfünfzig Jahre alt und trachtet
offenbar danach, ihre Taten zu rechtfertigen und als unsterbliche Führungsnatur
in die deutsche Psychogeschichte einzugehen. Außerdem habe ich den Eindruck
gewonnen, sie geht deshalb so bewusst freizügig mit den Medien um, weil sie
sich allem Anschein nach durch die Anteilnahme der breiten Öffentlichkeit an
den spektakulären Ereignissen in Sicherheit wähnt.
    Wir
warten auf die Ankunft der restlichen, zirka vierhundert Angehörigen ihrer
Gemeinde, die im Stundentakt mit Hubschraubern hier zum Flughafen
Hamburg-Fuhlsbüttel eingeflogen werden. Die Nachmittagssonne strahlt
unbarmherzig durch die abgedunkelten Bullaugen des Fliegers. Mit
Sprechfunkgeräten ausgestattete Dienerinnen, deren Waffen sich unter ihren
Jacken und Mänteln unmerklich abzeichnen, bewachen die Führungsclique um die
Hansen und patrouillieren die Gänge und Kabinen des Jumbo-Jets. Drei dieser so
genannte Dienerinnen sitzen uns gegenüber. Sie machen sich Notizen und zeichnen
unser Gespräch ebenfalls auf Band auf. Die Halbschwester der Hansen, Elisabeth
Radtke, hatte mich zu diesem Interview eingeladen. Vermutlich auf Weisung ihrer
älteren Schwester. Leider ist es meinem Kamerateam nicht erlaubt im Innern des
Flugzeuges Aufnahmen zu machen.
    „Ich
habe vor einigen Jahren unsere strenggläubige Gemeinschaft gegründet. Anfangs
teilten wir uns die Führung: meine Schwester Elisabeth, Frau Dr. Johannsen und
ich. Ich fand sehr schnell heraus, dass eine Führung durch mehrere Personen
nicht funktioniert. Jeder erteilt Befehle oder gibt Anordnungen: der eine hier,
der andere dort, der dritte sonst wo. Wie gesagt, das funktioniert nicht. Das
führt zu Konfusionen. Also übernahm ich das Kommando. Ein Mensch muss über

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