Das Salz der Mörder
die
Möglichkeit verfügen, Zeichen zu setzen, damit er handlungsfähig bleibt. Es
darf kein Feld geben, auf dem er nicht weiß, wie er es zu bestellen hat.
Solange es auf unserer Erde ungesühnte Schuld gibt, wird es Krieg und
Zerstörung geben, Egoismus und Neid. Schon deswegen hat einer die Führung zu
übernehmen. Baba gab mir dafür seine uneingeschränkte transzendentale Kraft.
Wir, die Auserwählten des Erlösers, haben eine Mission. Unsere Aufgabe ist es,
Leben zu retten - Leben für das Danach.“
„Haben
Sie auch Leben vernichtet?“ frage ich leichtfertig.
„Nein!
Ich vernichte kein Leben. Leben ist zu wertvoll, um es zu zerstören. Ich heile
kranke Menschen und schenke ihnen dadurch ein Leben in völliger Gesundheit. Ich
heile Krebs in gleicher Weise wie Eifersucht und Impotenz, Phobien, Angina
Pectoris oder Durchfall. Ich therapiere ausschließlich durch die Kraft der
Meditation und der Suggestion. Der Mensch ist eine Ganzheit, die aus Körper,
Seele und Geist besteht – das wissen Sie. Bei einer Krankheit ist diese
Ganzheit gestört. Mit meinen bescheidenen Mitteln versuche ich die
durcheinandergeratenen psychovegetativen Steuerungsmechanismen wieder zu
koordinieren. Und in aller Bescheidenheit: bei mehr als 90 % all meiner
Patienten gelingt mir das auch. Außerdem habe ich den hohen Auftrag
pathologische Seelen zu stimulieren.“
„Was
darf man sich darunter vorstellen?“
„Das
ist ein rein mechanischer Vorgang, bei dem ausschließlich Salz Verwendung
findet.“ Frau Hansen sieht ihre Stiefschwester an und bricht in hemmungsloses
Lachen aus. Merkwürdigerweise verzieht Frau Dr. Radtke keine einzige Miene über
diesen Witz, den ich eben so wenig verstehe. Nachdem sich mein exzentrisches
Gegenüber wieder beruhigt hat, führt sie die Unterhaltung fort: „Verzeihen Sie
mir, Herr Hahn. Ich hoffe, Sie vergeben einer älteren Dame ihren übertriebenen
Freudensausbruch? Es wäre nett von Ihnen, wenn Sie es nicht erwähnen würden. Es
passt nicht so recht zum Ernst der Lage. Ich betonte es schon zu Beginn unserer
Unterhaltung, dass ich eine Aversion gegen Journalisten habe, die Tatsachen und
Deutungen bewusst verdrehen, um sich ihre eigenen Zeitungsenten zu schreiben.“
„Ich
hätte natürlich auch gern über Ihren kleinen Spaß gelacht, aber lassen wir das.
Meinten Sie mit Ihrer Anspielung auf einen Abgrund oder Schacht, aus dem Rauch
aufsteigen wird, den Brunnen vor dem Weißen Haus in Wusterwalde? Es wird
behauptet, dass sich absonderliche Dinge in ihm befinden sollen. Ist dieses
Gerücht wahr?“
„Was
soll da Absonderliches drin sein außer Wasser? Ich weiß nicht, was diesen
Pharisäern noch alles einfallen wird, um mich zu einer Verrückten abzustempeln.
Dabei bin ich diejenige, die für den Frieden auf Erden kämpft. Und was Sie als
eine Anspielung auf den Brunnen von Wusterwalde bezeichnen, bezog sich auf ‚Die
fünfte Posaune‘ aus der ‚Offenbarung des Johannes‘. Es ist schon sehr
erstaunlich, wie viele Menschen heutzutage die Heilige Schrift nicht mehr
kennen. ‚Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf
die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.’
Matthäus 10, 34. Das sind die Worte des Propheten Jesus von Nazareth. Deshalb
besteht ein Teil unseres Apostolats darin, diesen Planeten von krankhaften und
todbringenden Lebewesen zu reinigen. Unsere zur Reinigung der Menschheit
verwendete Substanz ist besagtes Salz. Salz als Lebenselixier, doch ebenso als
vernichtendes Mineral gegen dekadentes Dasein.“
Ich
begreife immer noch nichts und vermute, Sie pickt sich aus allen bekannten
Religionen die für sie günstigsten Weisheiten heraus, schüttet diese
Erkenntnisse in einen großen Topf und rührt alles kräftig durcheinander. „Seit
bekannt wurde, dass in dem Dorf Wusterwalde während Ihrer Amtsführung Menschen
verschwanden, werden in der ganzen Republik sämtliche Vermisstenanzeigen der
letzten Jahre überprüft. Befürchten Sie eine Eskalation der Gewalt, wenn sich
vor Ihrem Abflug aus Hamburg die Vermutung bestätigt, Ihre Sekte sei eine Sekte
von Massenmördern?“
„Ich
befürchte gar nichts. Ich stehe unter dem Schutz des allmächtigen Erlösers. Was
sollte ich auch zu befürchten haben? Was mir genommen werden kann, ist weniger
als das, was mir gegeben wird. Und um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir
sind keine Sekte, wir sind eine religiöse Gemeinschaft von Auserwählten.
Unserer Gemeinschaft liegt
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