Das Salz der Mörder
werden – Kameramann, so
war es doch, oder? Jeder in unserer Klasse weiß, dass Manfred eine musische
Ader hat. Natürlich brauchen Sie für solch einen verantwortungsvollen Beruf ein
Abitur. Sehen Sie, Manfred, die Kulturschaffenden in unserer Deutschen
Demokratischen Republik stehen an exponierter Stelle im Kampf gegen den
Antikommunismus und haben eine sehr hohe Verantwortung für die
Bewusstseinsbildung unserer werktätigen Bevölkerung zu tragen. Wie unser großer
Dichter Bertolt Brecht so treffend formulierte: ‚Der Mensch lebt nicht vom Brot
allein‘.“
„Das
Zitat hat er auch bloß aus der Bibel geklaut“, flüsterte jemand hinter mir.
„Ja,
ein Kommunist braucht eine kulturpolitische Erziehung und eine kulturelle
Befriedigung in seiner Freizeit, das steht außer Frage. Aber, Manfred, Sie
werden doch ebenso zugeben müssen, dass es wichtiger für unsere Republik ist,
einen Metallfacharbeiter mit Abitur zu beschäftigen, als einen Künstler zu
unterstützen, der permanent gegen seinen eigenen Staat rebelliert. Holger
entstammt aus einem proletarischen Elternhaus. Brave Leute, die ihren
sozialistischen Auftrag ohne Fehl und Tadel erfüllen. Manfred, Sie haben sich
seit langem entschieden unseren neuen Weg, den Weg in eine neue, bessere,
leuchtendere Zukunft zu boykottieren. Und jetzt fordern Sie von demselben Staat
eine Ausbildung, die Ihnen nicht zusteht? Wir haben keinen Platz für
irregeleitete Jugendliche, die unser System, die unsere einzigartige
historische Aufgabe, die Marx, Engels und Lenin in Frage stellen.“
„Mir
ist leider nicht bekannt, welche phantasielosen Parolen Sie in Ihrer
jungfräulichen Freizeit propagieren, ob Sie Westfernsehen glotzen oder sich
nachts heimlich vom Genossen Leonid Breschnew befriedigen lassen. Das ist mir
alles scheißegal. Ich will mein Abitur und ich will mein Recht auf . . .“
„Wegner,
Sie halten sofort Ihre unverschämte Klappe, Sie Nichtsnutz. Ich werde Sie zum
Direktor bringen lassen, und der wird die Schulbehörde über Ihr empörendes
Verhalten informieren. Die machen kurzen Prozess, und es ist Aus mit Ihnen, Sie
Rotzbengel!“
„Das
ist mir doch erst recht scheißegal. Ihr roten Proleten habt mit mir sowieso
schon immer gemacht, was ihr wolltet. Und jetzt bin ich euch nicht einmal zum
Abitur gut genug - mit einem Leistungsdurchschnitt von 1,4. Wozu ihr mir überhaupt
das Lesen und Schreiben beigebracht habt, ist mir ein Rätsel.“
„Du
sollst deine Klappe halten, habe ich gesagt! Renate, lauf sofort zum Genossen
Direktor und bitte ihn unverzüglich zu uns in den Klassenraum zu kommen.“
„Bevor
Sie mich abführen lassen, Frau Heinrich, habe ich eine große Bitte: Bitte
versuchen Sie nicht meine Mitschüler während Ihres täglichen Unterrichts zu
verdummen und zu verblöden. Bringen Sie ihnen lieber selbstständiges Denken bei
und erziehen Sie sie zu Menschen, die stolz auf ihr Land sein können, dann
würde sich dieser Staat die Kosten für den Bau und die Instandhaltung der
Selbstschussanlagen und Minenfelder ersparen und das Geld für die Umschulung
der Mitarbeiter des Bildungswesens nutzen können. Bis es jedoch soweit sein wird,
habe ich noch eine viel bessere Idee . . .“
„Ich
hoffe, mit deinen vierzehn Jahren wirst du wissen, was du daherredest, du
Rotzlümmel. Halte endlich dein widerwärtiges Maul, verstanden? Schluss jetzt!
Und raus aus meinem Klassenzimmer!“
„Wenn
Sie für mich keinen Platz mehr in Ihrem blutverschmierten kommunistischen
Paradies haben, dann schließen Sie doch bitte drei Straßenecken weiter ganz
einfach die Tür in der Mauer auf und lassen mich rüber gehen. Ich bin bereit,
Frau Heinrich. Immer bereit!“
Er hat nicht das
Salz zum Brote - Er ist ein armer Schlucker.
13. Frau Dr. Elisabeth Radtke
„Guten
Morgen, Herr Wegner. Wie geht es Ihnen? Mein Name ist Radtke. Doktor Elisabeth
Radtke. Ich heiße Sie hiermit herzlichst Willkommen in unserem schleswig-holsteinischen
Paradies. Mein Beruf ist es psychologische Gutachten zu erstellen. Nach den
Ergebnissen der physischen Untersuchungen zu urteilen, sind Sie ja ein
ausgesprochen toller Hecht, wenn ich mich mal so maritim ausdrücken darf. Und
wie ich Sie hier liegen sehe, bräuchte ich keine medizinischen Befunde, um das
feststellen zu können. Sie fühlen sich also gut . . .? Dass Sie
unglücklicherweise noch am Bett fixiert sind, liegt an mir. Tut mir aufrichtig
leid. Andererseits geht Ihre und unsere Sicherheit - und das werden Sie
verstehen -
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