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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Abende zu tun, um sie richtig zu schulen. Schließlich war es so
weit: Omi erklärte sich bereit, bereit zu ihrer Jungfernfahrt - ihrer ersten
Westreise nach dem Mauerbau. Zuerst wolle sie ihren Mann besuchen, sagte sie.
Opa Leopold lag auf dem Friedhof in der Karl-Marx-Straße in Neukölln.
    „Freddy,
ich bin so aufgeregt, ich werde wohl die ganze Nacht nicht schlafen können.“
    Kalles
Vater wartete am nächsten Morgen mit seinem Taxi vor unserem Gartentor, um Omi
standesgemäß zum Bahnhof zu chauffieren. Sie fuhr, kaufte das Gewünschte ein,
kehrte abends mit vollen Taschen und Beuteln nach Waldfrieden zurück - und ich
war der Held. Alles klappte wie am Schnürchen. Es kam uns unglaublich vor.
Jeder machte seine kleinen Geschäfte, jeder war begeistert. Nur eine
Voraussetzung hatten alle Beteiligten zu akzeptieren: Völlige Verschwiegenheit!
So betrieben wir unseren verbotenen Importhandel im Dorfmaßstab. Durch den
Verkauf der imperialistischen Handelsgüter gelangten wir wieder zu
sozialistischer DDR-Mark, die sich über Nacht zu kapitalistischer Westmark
verwandelte. Wir waren froh und zufrieden in unserer kleinen, heilen Welt.
Endlich war ich freudestrahlender Besitzer aller Beatlesplatten. Zum Tauschen
hatte ich die Rolling Stones und Bastei-Romane. Und Omi freute sich über ihre
prächtigen Obstbäume, Gemüsebeete und Blumenrabatten, die sauberen Hühner- und
Karnickelställe.
    Ja,
alles blühte und grünte, denn aufgrund eines stillschweigenden Abkommens
zwischen meinen Freunden und mir, hatte ich an manchen Tagen mehr als zehn
fleißige Helfer um mich, und ich spielte den Boss.
    „Ach,
wenn das mein Leopold noch erleben könnte – Gott hab ihn selig“, sagte Omi
manchmal, wenn sie sich richtig glücklich fühlte. So wuchs ich heran zwischen
zwei Welten, zwischen Mutti und Omi, zwischen Ost und West, zwischen
Kommunismus und Kapitalismus, zwischen Gut und Böse, zwischen Plus und Minus,
zwischen Himmel und Hölle. (Na ja, ich glaube, Hölle ist wirklich etwas
übertrieben.)
    Auf
dem Dorf war ich der tolle Macker Freddy aus der Großstadt mit den
Westbeziehungen - in Berlin war ich die wohlerzogene Halbwaise Manfred Wegner,
die kein Wässerchen trüben konnte. Meine Schulzeit kann man, ohne lange überlegen
zu müssen, als schizophren bezeichnen, was der Angelegenheit vielleicht am
nächsten käme. Jedenfalls habe ich diese Jahre halbwegs unbeschadet
überstanden, vermute ich - bis mir meine Klassenleiterin am Ende des achten
Schuljahres etwas ganz anderes deutlich machte . . .

10. Ankunft in Sankt Peter-Ording
     
    Als
Hauptkommissar Aichinger aus München die Vermisstenanzeige an seinen Kollegen
Schmitzen in Sankt Peter-Ording in die Faxmaschine schob, waren bereits mehrere
Tage nach dem rätselhaften Verschwinden des Manfred Wegner und seiner Tochter
Gabriele vergangen.
    Veronika
Wegner, die unterdessen ihre Eltern in Berlin telefonisch auf dem Laufenden
hielt, verschob ihren geplanten Urlaub um eine Woche vor, was zwar
problematisch während der Ferienzeit war, aber in Anbetracht der Dinge
schließlich doch arrangiert werden konnte. Sie und ihr Sohn Daniel trafen am
Donnerstag, vier Tage nach dem schicksalhaften Sonntag, in Sankt Peter-Ording
ein, um an Ort und Stelle mit den dortigen Behörden zusammenarbeiten zu können.
Die „dortigen Behörden“ bestanden aus einer winzigen Polizeistation, besetzt
mit fünf Beamten, die im 3-Schichtsystem ihren, nicht immer, nervenaufreibenden
Dienst versahen.
    „Für
größere Aufgaben ist die Polizei in Itzehoe zuständig und bei den ganz großen
Fällen kommt auch schon mal jemand aus Kiel herüber“, erläuterte der erst
sechsundzwanzigjährige Jens Olaf Schmitzen, der seit knapp einem halben Jahr
diensthabende Revierleiter, in seinem unverfälschten plattdeutschen Akzent, als
Frau Wegner am Freitagmorgen zur Sachverhaltsabklärung erstmals die
Polizeistation betrat und sich nach dem Stand der Ermittlungen erkundigte.
    „Hier
haben wir die Unfallberichte vom letzten Wochenende in der Region Nord. Nachdem
uns die Personenbeschreibungen übermittelt wurden, informierten wir
Krankenhäuser und Kliniken, befragten alle Tank-stellen, Rast- und
Autowerkstätten, Hotels und Pensionen in unserem Gebiet. Doch leider, oder
sollte ich besser sagen: zum Glück, ohne Erfolg. Ja, Frau Wegner, ich glaube, Sie
sehen, was unser kleines, unterbesetztes Revier bis jetzt für eine enorme
Arbeit geleistet hat. Oder meinen Sie nicht auch, dass Ihr Ex-Mann mit

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