Das Salz der Mörder
Fladen und gekochte Bohnen. Im Brot war gelegentlich Stroh
eingebacken oder es knirschte nach Sand zwischen den Zähnen. In den Bohnen
schwammen mitunter Würmer. Unterdessen hielten sie uns täglich mit einem Becher
Wasser am Leben.
Nach
drei, vier Wochen hatten die sich eine Art Zyklus einfallen lassen. Jeden
Montag holten sie Steven. Und jeden Montag brachen sie ihm einen anderen Teil
des rechten Beins. Mir ist absolut unbegreiflich, wie er das aushielt. Woher
brachte er so viel Kraft auf, um solche Schmerzen zu ertragen? Den Mittwoch
hatten sie für mich auserkoren. Regelmäßig wurde ich von meinem
Erschießungskommandeur geholt und zum Todespfahl geführt. Der Revolver mit
seinen Kammern war meistens verschieden geladen, hin und wieder mit zwei oder
sogar drei Patronen. Manchmal lud er sie hintereinander in die Trommel, ein
anderes Mal ließ er eine Kammer frei dazwischen. Das war ihre Methode: Steven
folterten sie körperlich, mich geistig. Was wird ein Mensch wohl länger
verkraften können? Doch schien es bei Steven nicht beides zu sein? Physische
und psychische Grausamkeit? Ist die Angst vor dem mit Gewissheit zu erwartenden
körperlichen Schmerz nicht zugleich auch eine geistige Folter? Ja, Steven wurde
zweifach bestraft. War es, weil er Engländer ist? Er sprach nicht über seine
Schmerzen, trotzdem fühlte ich sie.
Langsam
magerten wir ab. Steven, der breite, heitere, sanfte Koloss schrumpfte in sich
zusammen. Meinen Gewichtsverlust konnte ich an meiner verdreckten Hose
abmessen, die täglich größer zu werden schien. Ich sehnte mich danach, mir die
Zähne zu putzen, mich zu rasieren, ich sehnte mich nach heißem Wasser und
Seife. Als Klosett gab man uns einen Plastikeimer, den ich jeden Mittwoch, wenn
ich auf dem Weg zum Todespfahl war, auf ihrem arabischen Scheißhaus entleeren musste.
Steven verrichtete seine Notdurft ausschließlich im Liegen, denn er wusste sich
vor Schmerzen kaum zu bewegen. Unsere Exkremente stanken fürchterlich. Deshalb
bekamen wir vermutlich öfters eine Spezialreinigung: Um an dem Öl, das unsere
Poren undurchdringlich verschloss, nicht zu ersticken, übergoss man uns einmal
wöchentlich, und stets in tiefster Nacht, mit eiskaltem Kerosin.
Die
Zeit stand still. Zusehends stumpfte mein Verstand ab. Die Angst vor den
Scheinhinrichtungen ließ nach. Letzten Endes war es mir egal, ob sie mich
lebend oder tot in die Zelle zurück schleppten. Diese Scheißkerle brachten mich
soweit, dass ich mir den Tod sogar wünschte. Und Steven dachte wie ich. Auch
ihn verließen zusehends die Überlebenskräfte.
Die
langen Tage waren kaum zu ertragen, die Nächte ebenso wenig. Irgendwie müssten
wir uns beschäftigen, meinte ich, denn es gab ja nur das Warten auf die nächste
Folter und sonst nichts.
Nachdem
wir uns mit all den Vergewaltigungen abgefunden hatten und bereits lebensmüde
waren, begannen wir wieder miteinander zu reden. Einer forderte den Intellekt
des anderen heraus. So stritten wir, so lachten wir, so trainierten wir unseren
Verstand - und so überlebten wir.
Steven
und ich wurden am 7. Dezember 1990 aus unserem Kerker entlassen. Wir waren
somit 125 Tage Geisel des „geliebten Führers“ und irakischen Diktators Saddam
Hussein. Meinem Freund brachen sie während dieser Zeit fünfzehnmal das rechte
Bein. Mit seinem Sport war es vorbei, denn er kehrte als Krüppel in seine neue
Freiheit zurück. Man fuhr uns von Al Jahra zu einer UN-Vertretung nach
Kuwait-City. Welch eine Ehre. Die Mühe uns zu fesseln und die Augen zu
verbinden, machten sie sich nicht mehr. Wir waren Wracks.
Wo kein Gott ist,
da ist kein Salz und kein Halt! (Gottfried Keller)
33. Unser Alpenland steht Kopf Auszüge aus der Wiener „Neue Kronen-Zeitung“
Eine
Verhaftungswelle ungeahnten Ausmaßes erschüttert Österreich. Grenzkontrollen
werden verschärft. Der Unmut in unserer Bevölkerung wächst. Der Anlass: Die in
Deutschland produzierte und ebenso im österreichischen Fernsehen (ORF)
ausgestrahlte Fernsehreihe „Aktenzeichen XY ungelöst“ trägt erheblich dazu bei,
dass im Raum Innsbruck und Salzburg ein außergewöhnlich hohes Aufgebot unserer
Gendarmerie zum Einsatz kommt, um den unter dringenden Tatverdacht der
Kindesentführung stehenden deutschen Arbeitslosen Manfred Wegner habhaft zu
werden. Das Tatfahrzeug, ein silberfarbener Opel Kadett 1,6 i, war und ist
Anlass dafür, dutzende Automobile dieses Typs von österreichischen Bundesbürgern
zu beschlagnahmen, zu demontieren und
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