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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Unsere verfluchte Zellentür ging wieder auf.
Ich erkannte dieselben Typen. Sie zerrten an meinen Armen und stießen mich in
den Gang hinaus. Vor Angst schloss ich die Augen. Eingekeilt in ihrer Mitte
schleppten sie mich auf einen sonnendurchfluteten Innenhof, der von vier hohen
Mauern umgeben war. Einen Meter vor der mir gegenüberliegenden Wand hatte man
einen mannshohen Holzpfahl in den Sandboden gerammt. Hinter dem Pfahl sah ich
Hunderte von Einschüssen im zerbröselnden Putz. Ein Iraker stieß mich mit
Tritten zu diesem Pfosten hin, der andere blieb im Schatten des Hofeingangs
stehen und sah uns schmunzelnd hinterher. Ich schiss mich ein. Die weiche
lauwarme Scheiße rutschte durch meine öldurchtränkte Hose und hinterließ eine
braune, stinkende Spur im gelben Sand. Ich konnte nichts mehr halten. Meine
Blase entleerte sich ohne mein Zutun. Ich erreichte den Todespfahl.
    „Turn
around“, wurde hinter mir geschrien. Ich drehte mich um. Mit seiner Pistole an
meiner Stirn drückte mich der Saukerl gegen den Pfosten. Dann ging er fünf
Schritte rückwärts und zielte auf mich. Ein Schuss peitschte an meinem linken
Ohr vorbei. Zementstückchen aus der Wand flogen gegen meinen Hinterkopf. Ich
sah nichts mehr. Die brennende Morgensonne blendete meine Augen. Plötzlich kam
der Mann auf mich zu, stellte sich breitbeinig vor mir auf und presste seine
Waffe an meine schweißtriefende Schläfe. Erneut entleerte sich mein Darm. Die
Scheiße war jetzt flüssig.
    Er
fing an auf englisch zu zählen: three . . ., two . . ., one . . ., und drückte
ab. Klick! Ich sackte zusammen und blieb regungslos auf dem heißen Boden
liegen. Nun rebellierte auch mein Magen. Ich roch mein Erbrochenes. Von
irgendwoher strömten Tausende ölverschmierte Kakerlaken aus mir. War ich
endlich tot?
    Wie
lange die mich in meinem stinkenden Dreck haben liegen lassen, weiß ich nicht.
Als sie mir die Fesseln gelöst hatten, trugen mich die beiden Iraker lachend
zurück in die Zelle. Ich lebte also noch. Mein Körper war mit Öl und Pisse und
Scheiße und Sand verschmiert. Steven schrie auf, denn die Männer stießen mich
gegen sein gebrochenes Bein. Der Barmann lag genauso an der Wand wie zuvor. Die
Riesenameisen waren zurückgekehrt. Sie begannen inzwischen den Kopf des Toten
auszuhöhlen. Dafür hatten sie ein regelrechtes Straßensystem angelegt. Emsig
transportierten die kleinen Tierchen ihre schwere Last aus den Ohren- und
Nasenlöchern in den offenen Mund des ermordeten Arabers. Es roch entsetzlich.
    Ohne
Essen und Trinken ließ man uns den ganzen Tag in Ruhe. Den Hunger konnten wir
ertragen, den Durst nicht. Steven stöhnte unaufhörlich vor sich hin. Keiner von
uns wusste, was er sagen sollte. Am folgenden Morgen zogen diese Schweine den
stinkenden Leichnam des Barkeepers aus unserer Zelle. Wahrscheinlich drang der
Verwesungsgeruch mit der drückenden Hitze von unserem Verlies schon bis zu den
Unterkünften der Wärter. Mit dem Toten verschwanden auch die Ameisen. Sonst
geschah nichts. Schließlich bekamen wir einen Holzkübel mit Wasser. Unser
erstes Wasser. Wie ein verdurstendes Vieh stürzte ich mich auf diese warme,
modrige Brühe. Ich schob den Eimer zu Steven. Wir tranken ihn in einem Zug aus.
Kurz darauf kamen sie. Wieder holten sie Steven. Sie brachen ihm das rechte
Wadenbein, nun aber richtig. Mich ließen sie in Ruhe. Ich musste einen Tag
später erneut an den Todespfahl. Dieses Mal fuchtelte mein Wachoffizier mit
einem Revolver herum. Er entleerte ihn vor meinen Augen bis nur eine Patrone in
den sechs Kammern übrig blieb. Russisches Roulette! dachte ich. Dieses Schwein
grinste mich an, drehte geräuschvoll die Trommel mehrmals hin und her, presste
die Mündung gegen meine Stirn, wartete mindestens zwanzig Sekunden – spukte
währenddessen einige Male seinen widerlichen Speichel aus - und drückte endlich
ab. Klick! Zum zweiten Mal überlebte ich. Doch wie oft noch?
    Mir
flimmerte dieser Film mit Robert DeNiro vor den Augen: „Die durch die Hölle
gehen“. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass mir jemals Ähnliches
widerfahren könnte. Das passiert doch immer nur anderen, nahm ich an, damals in
meinem eingegrenzten und minenfeldgesicherten Arbeiter- und Bauernparadies.
    Mit
der Zeit empfanden wir ein stetig stärker werdendes Hungergefühl. Wir bekamen
aber nichts. Steven fiel vor Schmerzen von einer Ohnmacht in die nächste. Erst
nach fünf Tagen gab man uns etwas zum Essen. Dann erhielten wir täglich eine
Mahlzeit:

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