Das Salz der Mörder
verhalten. Und er macht mir ein bisschen Angst: Er
spricht kaum über seine Schwester und seinen Vater. Entweder aus Rücksicht auf
mich oder er hat den Verlust schon akzeptiert. Ich weiß es nicht. Ich bin in
der Beziehung vielleicht wie Sie, gnädige Frau, wenn ich das sagen darf. Auch mir
fällt es schwer, ohne Zuversicht zu leben. Erst letztens zeigte mir mein Anwalt
drei Fotos, auf denen mein Mann und meine Tochter abgebildet waren. Das gab mir
wieder Auftrieb, denn sie sahen so lebendig aus, als seien diese Aufnahmen erst
eben geknipst worden.“
„Ich
möchte Ihnen gern helfen, Schwester Veronika. Darf ich das?“
„Liebe
gnädige Frau, ich weiß nicht. Bitte, ich weiß nicht recht, wie Sie das meinen.“
„Ich
bin achtundsiebzig Jahre alt, und Professor Doktor Haffner sagt mir nichts
Genaueres über meine Krankheit. Ob ich aus Ihrer hübschen Klinik noch einmal
lebend herauskomme, kann ich mir ebenso wenig vorstellen.“
„Aber
ich bitte Sie, Frau von Bentheim, Sie wissen doch ganz genau, was für eine
Kapazität unser Herr Professor ist. Und laut Ihrem Krankenblatt machen Sie
täglich Fortschritte.“
„Wie
dem auch sei. Das ist wirklich nicht mehr wichtig für mich. Ich habe längst mit
meinem Leben abgeschlossen und glaube, ich bin gleichermaßen mit dem lieben
Gott ins Reine gekommen. Die Religion sagt uns, dass wir auf der Welt sind, um
Gott und den Nächsten zu lieben. Das habe ich versucht. Ob es mir immer
gelungen ist, weiß ich nicht. Was mich bedrückt, ist etwas anderes. Mein Junge,
mein einziges Kind, mein Herr Sohn, geboren am 15. Oktober 1943, Produkt des
letzten Fronturlaubes meines Mannes. Mein lieber Herr Sohn kann mich mal am
Arsch lecken!“
„Gnädige
Frau . . .?!“
„Ja,
ja, ja, Sie haben mich vollkommen richtig verstanden: Der kann mich am Arsch
lecken. Haben Sie ihn jemals hier im Krankenhaus gesehen? Natürlich, am Telefon
ist er brillant - Mutti dies und Mutti jenes. Doch sein Herz ist nicht bei mir.
Das tut sehr weh. Schlimmer als krank zu sein, ist, allein zu sein - ist die
Einsamkeit. Sehen Sie, ich habe mich vor einigen Jahren aus unserer Firma zurückgezogen
und sie meinem Sohn überschrieben. Seitdem überweist er mir monatlich eine ganz
ansehnliche Leibrente, wahrscheinlich in dem guten Glauben sowieso alles früher
oder später zu erben. Unser Betrieb läuft hervorragend. Rezessionen konnten uns
zu keiner Zeit etwas anhaben, beständig konstante Auftragslage und konstanter
Absatz. Also, wir haben keine Probleme. Seine Frau ist übrigens Rechtsanwältin
und verdient selbst sehr gut. Was mich jedoch maßlos aufregt, ist, dass die
beiden nur von Geld reden, von Profiten, Aktien, Steuerrückzahlungen, und was
weiß ich noch alles. Sie waren nicht einmal in der Lage mir ein Enkelkind zu
fabrizieren. Ihre Herzen sind aus Stein. Egoisten alle beide. Nebenbei bemerkt
ist meine Schwiegertochter eine ausgezeichnete und mit allen Wassern gewaschene
Anwältin. Ich kenne so ziemlich jeden namhaften Juristen in Deutschland, ihren
Rechtsanwalt Feldmann allerdings, kenne ich nicht. Wie gesagt, ich möchte Ihnen
gern helfen, mein Kind. Aus diesem Grund werde ich jetzt meine Schwiegertochter
anrufen. Sie soll Sie in Ihrem Fall vertreten, kostenlos. Sie wird der Polizei
tüchtig einheizen, das verspreche ich Ihnen. Können Sie mir bitte meine
Handtasche aus dem Schrank holen, Liebes?“
„Bitte,
Frau von Bentheim, ich weiß nicht, ob ich das annehmen darf.“
„Machen
Sie sich über Ihren Feldmann keine Sorgen. Das regelt meine Schwiegertochter.
Und das mit dem ‚kostenlos‘ regle ich.“
Schwester
Veronika brachte die Handtasche. Frau von Bentheim öffnete sie, entnahm ihr
einen goldenen Füllfederhalter und ein Scheckheft. Nachdem sie ihre Lesebrille
aufgesetzt hatte, begann sie bedächtig in dem länglichen Heftchen zu schreiben.
Schwester Veronika reinigte inzwischen das Waschbecken und wechselte die
Handtücher.
„Lassen
Sie das jetzt bitte, meine Kleine, und kommen Sie zu mir. Ich bin fertig.“
Veronika
kam ans Bett und Frau von Bentheim überreichte ihr einen korrekt ausgefüllten
Scheck, auf dem eine höhere Geldsumme eingetragen war. Beim näheren Hinsehen
verlor die ahnungslose Schwester ihr Gleichgewicht und setzte sich
versehentlich auf den Bettrand der älteren Dame. Frau von Bentheim schenkte der
Schwester Veronika nicht nur den kostenlosen Rechtsbeistand ihrer berühmten
Schwiegertochter Katharina von Bentheim, sondern auch einen Barscheck in Höhe
von
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