Das Salz der Mörder
lassen.
„Nach
Ghana?!“ fragte ich entgeistert. Ich blätterte im Atlas, um zu verstehen, was
er beabsichtigte. Ich sollte mit ihm nach Ghana auswandern. Okay, er bekam
seine Rente, und was hätte ich dort zu tun? Zuerst einmal wollten wir gemeinsam
Urlaub machen und die ganze Scheiße, die hinter uns lag, vergessen. Seinen
englischen Freund besuchen, der dort arbeitete. Einfach Land und Leute kennen
lernen und entspannen, und möglicherweise in naher Zukunft diverse Geschäfte
mit den Schwarzen betreiben.
„Ghana
hieß vor seiner Unabhängigkeit ‚Gold Coast’, und das nicht ohne Grund, mein
Lieber“, behauptete Steven und klopfte mir auf die Schulter. „Da mischen wir
mit, Freddy.“ Er veranschaulichte mir anhand von Büchern, die er von
irgendwoher aufgetrieben hatte, den Reichtum an Gold und Diamanten, an Holz,
Kakao, Kupfer und Bauxit, der in diesem Schlaraffenland vorhanden sei. Und ich
erklärte ihm zum hundertsten Mal, dass ich eine Mutter, eine Frau und zwei
Kinder und ein sicheres Einkommen hatte, und nach meiner Entlassung aus dem
Krankenhaus nach Freilassing zurückgehen werde.
Als
man unsere Geschichte in der Zeitung veröffentlichte, erhielten wir endlich die
Erlaubnis unsere Angehörigen zu verständigen. Ich versuchte natürlich sofort
mit Vroni zu telefonieren. Nichts. Mehrmals am Tag rief ich an. Nichts. Ständig
hörte ich sie via Anrufbeantworter ihren Text herunter rasseln. Ich schrieb
ihr, sie könne mich hier in Frankfurt besuchen kommen. Nichts. Auch meine
Mutter schien für mich unerreichbar zu sein, meine Schwiegereltern ebenso.
Womöglich hatten die nach der Wiedervereinigung in Gesamtdeutschland neue
Telefonnummer vergeben. Ich fühlte mich, als wäre ich weiterhin von der
Außenwelt abgeschnitten.
Zwei
Wochen später wurde ich entlassen. Steven musste noch bleiben. Am selben Tag
hörte ich nach all der Zeit Vronis leibhaftige Stimme am Telefon. Ich teilte
ihr mit, dass ich heute Abend kommen werde und vorher tausendmal angerufen
hätte, aber niemand den Hörer abnahm. Deshalb schrieb ich ihr mehre Briefe. Ob
sie im Winterurlaub gewesen wären oder ihr Apparat eventuell nicht in Ordnung
sei, fragte ich. Ich war vollkommen durcheinander, dann wurde unser Gespräch
unterbrochen.
Ich
verabschiedete mich von Steven und versprach ihn von Frankfurt abzuholen, wenn
es soweit ist. Für meine Heimreise bekam ich von den Amis ein paar
Wintersachen, eine Fahrkarte und Reisegeld in die Hand gedrückt. Während ich
die zehn Zehnmarkscheine in meiner Hand betrachtete, fragte ich mich, weshalb
wir diesen Pressearschlöchern für unsere Geisel-Story kein Geld aus der Tasche
gezogen haben? Die zahlen doch sonst für jeden Schwachsinn. Ja, man ist halt
manchmal ganz schön dämlich.
Es
war Mitte Januar 1991. Zu diesem Zeitpunkt begann der alliierte Luftangriff auf
den Irak. Ich hielt mich in Deutschland auf, Gott sei Dank, Tausende Kilometer
von diesem Krieg entfernt. Was ich jedoch nicht wusste: Für mich begann
ebenfalls ein Krieg, aber ein anderer und völlig unerwarteter . . .
Als
ich vor der Haustür in der Reichenhaller Straße in Freilassing stand, war es
Mitternacht. Wie beim aller ersten Mal, kam ich auch dieses Mal mit einem
verspäteten Zug an. Und wieder war Bayern ganz in Weiß gehüllt. Ich klopfte mir
den Schnee von den Sachen, klopfte mir die amerikanischen Armeestiefel an den
zwei Stufen vor dem Eingang ab, zog meine Handschuhe aus und drückte mit meinem
warmen Daumen auf den eiskalten Klingelknopf der Familie Wegner. Es dauerte
eine Weile, bis drinnen das Treppenlicht anging und mir durch die
Ornamentglasscheibe diffus ins Gesicht schien. Nach längerem Warten kam ein
Schatten die Treppe herunter, wurde größer und öffnete unter lautem
Schlüsselgeklirr die Tür.
„Entschuldigen
Sie, bin ich hier richtig? Ich habe bestimmt die falsche Klingel erwischt bei
dieser Dunkelheit. Ich wollte zu Frau Wegner, zu meiner Frau. Ich bin Herr
Wegner“, offenbarte ich dem Mann, der in Filzpantoffeln und Pyjama die Klinke
der Haustür krampfhaft festhielt.
„Vroni,
dein Mann ist da. Willst du ihn wirklich hereinlassen? Hörst du? Wollen wir ihn
hereinlassen?“ schallte es oberbayerisch im Treppenhaus empor. Wollen wir ihn
hereinlassen? Ich dachte unwillkürlich an „Mainz, wie es singt und lacht“, doch
Mainz lag nicht in Bayern, sondern in der Nähe von Frankfurt, wo ich gerade
herkam, und Rosenmontag wird erst im Februar gefeiert. Solch ein Quatsch schoss
mir unbewusst durch
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