Das Salz der Mörder
100.000, - DM. Für uneingeschränkte persönliche Aufwendungen, wie es die
fröhliche Patientin formulierte.
Es kann der
Sonnenhitz, wie auch dem Salz der Erden – an Tugend und an Kraft ganz nichts
verglichen werden. (Plinius)
35. Interview bei den Alliierten Frankfurt am Main, Dezember 1990
Steven
und ich wurden in ein amerikanisches Militärkrankenhaus eingeliefert. Man wies
uns ein Zweibettzimmer zu. Hier kamen wir einigermaßen zur Ruhe. Wir erhielten
eine ausgezeichnete Behandlung. Alle versuchten sich vorzustellen, was wir
durchgemacht hatten – so, wie wir aussahen. Es war nur merkwürdig, wir bekamen
nicht die geringsten Informationen von der Außenwelt: kein Fernsehen, kein
Radio und keine Zeitungen. Seit unserer Geiselnahme wussten wir nicht mehr, was
auf dem Globus vor sich ging. Von jetzt an beschränkten sich unsere
persönlichen Kontakte ausschließlich auf das Pflegepersonal und die
amerikanischen Ärzte. Steven fragte mich, ob wir hier immer noch in Kuwait
wären oder man uns auf eine einsame Insel verfrachtet hätte. Ich konnte ihm
seine Frage nicht beantworten. Von den polnischen Reinigungskräften erfuhr ich,
dass sich die Deutschen am 3. Oktober 1990 wieder vereinigt hätten. Und man
befragte mich über den Zerfall der ehemaligen Deutschen Demokratischen
Republik, jedoch in einer Art und Weise, in der man sich nach dem
überraschenden Tod der ungeliebten Schwiegermutter oder nach dem Ausgang eines
vierwöchigen Sackhüpfturniers in Hintertupfingen erkundigt.
Als
es uns etwas besser ging, wurden wir verhört. Jeder einzeln. Die Herren
stellten sich zwar nicht vor, doch das charakteristische Verhalten, der geheime
Habitus dieser Männer, schienen mir von früheren unangenehmen Begegnungen mit
Stasi-Typen geläufig zu sein. Ich bin mir dem-nach fast hundertprozentig
sicher, dass das meine erste Begegnung mit der CIA, der amerikanischen Central Intelligence Agency, war. Während dieser Verhöre verlegte man uns
in Einzelzimmer, wahrscheinlich um nicht miteinander reden zu können. Erst nach
einer Woche begriffen die, dass unsere Aussagen über die Vorgänge in Kuwait
identisch waren. Die geheimdienstlichen Herren zogen mit langen Gesichtern ab
und wir durften zurück in unser vorheriges Zimmer. Sogleich fanden sich
Presseleute ein. Das bedeutete erfreulicherweise, dass wir offiziell dem
deutschen Volke zurückgegeben wurden und für dasselbe deutsche Volk
vorübergehend von höchstem Interesse waren.
„Herr
Wegner, wie hat Ihre Familie von Ihrem fürchterlichen Schicksal erfahren? Und
wie haben Sie Ihr Wiedersehen gefeiert?“
„Meine
Familie weiß bis zu diesem Zeitpunkt, ja, bis zu dieser Minute, noch nicht
einmal, wo ich mich seit dem 2. August 1990 aufgehalten habe. Sie wurde, soviel
mir bekannt ist, aus angeblichen Sicherheitsgründen über den Vorfall nicht
informiert. Die Frage eines Wiedersehens erübrigt sich also einstweilen.“
„Mister
Smiley, nach der gemeinsam erlittenen Geiselhaft - wie ist Ihr heutiges
Verhältnis zu Herrn Wegner?“
„Wissen
Sie, wir haben uns vorgestellt, einen Club zu gründen. Ja, einen Club oder
einen Verein, ähnlich wie die ‚Anonymen Alkoholiker‘, die sich immer mal
treffen und über ihre Erfahrungen und Ängste, über die Beziehung in der Familie
oder das Verhältnis am Arbeitsplatz diskutieren. Sie verstehen, was ich meine?
‚Die unbekannte Geisel e.V.’, klingt gut, nicht wahr? Allerdings bezweifeln
wir, ob das funktioniert. Stimmt’s, Freddy? Nun lach doch nicht so. Ja, und was
Freddy und mich betrifft, so hat uns die Zeit in diesem stinkenden und
verwesenden Kerker noch enger zusammengeschweißt.“
„Herr
Wegner, was empfanden Sie, als Sie sich zum ersten Mal wieder im Spiegel
sahen?“
„Das
war wirklich ein komischer Anblick. Ich erkannte mich nicht. Mein Gesicht war
vollkommen eingefallen, und der lange Vollbart tat ein Weiteres. Dennoch fühlte
ich mich erleichtert und meinte: Freddy, der Mensch hält mehr aus, als er
denkt. Trotzdem kam ich mir ziemlich beschissen vor.“
„Mister
Smiley, glauben Sie an Gott und seine Kirche? Sie hatten versucht sich
umzubringen . . .?“
„Ich
glaube an Gott, unseren Herrn, und an seinen Sohn Jesus Christus. Doch was die
Kirche anbelangt, dazu fällt mir nicht viel ein. Ich glaube auch, dass Jesus
weder das Kirchengehen noch Katholizismus oder Protestantismus gepredigt hat -
er hat Nächstenliebe gepredigt. Ja, es ist richtig: Ich hatte mir ernsthaft
vorgenommen mich
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