Das Salz der Mörder
Michael dort lebt und überdies bei der Münchner Polizei
arbeitet. Das haben wir doch seinerzeit alles in Erfahrung gebracht, nicht
wahr?“
„Jammer
nicht herum und verlier nicht gleich die Nerven, Elisabeth! München ist groß.
Ich gebe zu: Das Leben besteht nun einmal aus glücklichen und unglücklichen
Zufällen. Ich werde mit Michael reden.“
„Reden
willst du mit ihm? Nach all den Jahren willst du mit ihm reden? Lies seinen
Brief, dann wirst du sehen, ob er bereit ist mit sich reden zu lassen, dein
lieber Herr Sohn.“
„Weißt
du was, Elisabeth, du warst schon immer die schlechtere Psychologin von uns
beiden. Bei dem kleinsten Scheinproblemchen gerät dein vegetatives Nervensystem
völlig außer Kontrolle. Ich beobachte das neuerdings häufiger an dir. Du
solltest deinen Parasympathikus besser trainieren, denn der sorgt ja
bekanntlich für Erholung und Entspannung. Oder ist es etwas anderes? Deine
Niedergeschlagenheit, deine ständig bedrückte Stimmung und diese Schwermut, all
das deutet beängstigend auf eine exogene Depression hin - eine Reaktion auf
nicht bewältigte innere oder äußere Belastungen, wie du aus deiner Studienzeit
vermutlich noch wissen wirst.“
„Bitte,
sprich nicht in diesem Ton mit mir, Margot. Ich bin nicht eine deiner Dienerinnen.“
„Jetzt
setz dich endlich hin und beruhige dich wieder. Nimm dir ein Glas Cognac, wenn
du willst.“ Frau Hansen nahm äußerst ungehalten den Brief entgegen, zog das
Schreiben aus dem Umschlag und begann zu lesen:
Liebe
Tante Elisabeth,
sicher
wirst Du Dich wundern, von mir Post zu erhalten, und sicher wirst Du Dich auch
darüber wundern, woher ich weiß, dass Du meine Tante bist. Ich hatte ja bereits
früher über meinen lieben Großvater Anrüchiges gehört - er soll in seinen
jungen Jahren ein unverwüstlicher Schürzenjäger und Frauenheld gewesen sein -,
aber dass er mit seinem eigenen Dienstmädchen (Deiner Mutter), liebe Tante
Elisabeth, vor den Augen seiner Frau (meiner Großmutter) gevögelt hat und Du
dadurch unter die Fuchtel seiner rechtmäßigen Tochter (meiner Mutter) geraten
bist, das erfuhr ich erst vor kurzem. Gut, gut, meine Liebe, das nur nebenbei.
Wie Du weißt, haben Deine Stiefschwester und ich keinen Kontakt miteinander.
Seit der Zeit, als sie meinen Vater und mich verließ, verachte ich diese Frau, die
vorgibt meine leibliche Mutter zu sein. Ich hasse sie von ganzem Herzen.
Dennoch beobachtete ich all ihre Aktivitäten und Spinnereien aufmerksam und
verfolgte intensiv ihren absonderlichen Werdegang. Aus Scham über sie und um
nicht selbst durch eventuelle gesetzwidrige Machenschaften mit dieser Dame in
Verbindung gebracht zu werden, nahm ich den Familiennamen meiner Frau an. Ja,
ich habe vor knapp zwei Jahren geheiratet. Wie Du leicht aus dem Absender
ersehen kannst, heiße ich nun Aichinger. Nach unserer Hochzeit sind meine Frau
und ich von Berlin nach München gezogen. Wir leben hier im Haus meiner
Schwiegereltern. Kurz und gut, ich bin sehr glücklich und fühle mich ausnehmend
wohl in meiner bayrischen Umgebung. Seit fast einem Jahr arbeite ich als Hauptkommissar
im Ersten Münchener Kommissariat. Ich war übrigens derjenige, der
zufälligerweise die Vermisstenanzeige dieser Veronika Wegner aufgenommen hat
(Ja, ja, es gibt manchmal Fügungen des Schicksals, die sind unbegreiflich). Da
ich wusste, in welcher Gegend Eure verrückte Sekte operiert und mit welchem
Schwachsinn Ihr Euch dort oben an der Nordseeküste den lieben langen Tag über
beschäftigt, habe ich die Weiterleitung der Anzeige ein wenig verzögert bzw.
behindert, um auf eigene Faust Nachforschungen zu betreiben. Mir half dabei ein
Kollege aus Sankt Peter-Ording. Und siehe da, nach ein paar Tagen wurden meine
Vermutungen zur Gewissheit: Ihr habt den Wegner und seine Tochter entführt!
Welche Motive ihr dabei verfolgt, werde ich noch herausfinden. Ich wartete also
ab, was geschehen würde. Doch es geschah nichts. Keine Erpressung, kein
Lösegeld, es geschah einfach gar nichts. Na gut, ich bin, was mich betrifft,
ruhig und geduldig und möchte nichts überstürzen. Bis heute tappen die
Ermittlungsbeamten im Dunkeln. Weil, wie gesagt, keine Lösegeldforderungen
vorliegen und auch sonst nicht viel Detailliertes darüber an die Allgemeinheit
gedrungen ist, wie es scheint, bin ich auf die phänomenale Idee gekommen, meine
Ex-Mutter um dieses Lösegeld zu bitten. Und Du weißt ja, wie das ist - es ist
ein Elend: Es wird immer komplizierter, unkompliziert zu
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