Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
abqualifiziert würde. Was für diese Geschichte sprach, war die körperliche Verfassung der beiden, insbesondere die des Deutschen. Man sah ihm an, daß er Tage nichts gegessen hatte. Und man sah ihnen an, daß sie außergewöhnliche Strapazen hinter sich hatten. Schließlich sprach auch für den Wahrheitsgehalt, daß der Deutsche eine Bergmannsmontur trug, der Russe hingegen einen ursprünglich weißen Overall und leichte Schuhe, mit denen er sicherlich nicht durch die Bergwelt Belutschistans gewandert wäre.
Während sie ihren Gedanken nachhingen, fuhr draußen ein Wagen vor. Sofort waren Sander und der Russe in heller Aufregung. „Keine Angst! Es ist mein Schwager.“ Aamir ging nach draußen und half einem hageren Mittdreißiger beim Entladen des Wagens. Sander und der Russe betrachteten argwöhnisch die Szene. Aamir betrat mit dem Fremden die Halle. Sie hielten beide jeweils einen Pilotenkoffer in der Hand. „Dies ist Nasim, mein Schwager. Ich sagte es bereits. Nasim ist Arzt.“ Aamir stellte ihm den Deutschen und den Russen vor. An die beiden gewandt erklärte er Nasims Auftauchen: „Nasim hat alle medizinischen Utensilien zur Versorgung ihrer Wunden in den Koffern. Horst hat vielleicht innere Verletzungen – dann bliebe nur das Krankenhaus. Auch die Gesichtsverletzung und Ihre Hände bedürfen medizinischer Versorgung. Tetanus ist in dieser Gegend ein verbreitetes Risiko. Anschließend sollten wir besprechen, wie mit Ihrer Problematik zu verfahren ist. Möglicherweise sind Sie in Quetta sicherer untergebracht als hier. Nasim würde sich in diesem Falle Ihrer Unterbringung annehmen. Aber darüber reden wir nachher.“
Igor war überrascht, wie selbstsicher Aamir plötzlich wirkte, nicht zu vergleichen mit dem Jüngling, den er am Tage zuvor aus dem Pick-up zerrte. Aamir hatte Igors staunenden Blick bemerkt. Er grinste, wandte sich seinem Schwager zu. „Was meinst du, können die beiden schon etwas anderes essen als Fladenbrot?“
Nasim wog den Kopf hin und her. „Noch kein Obst, sie würden wahrscheinlich Durchfall bekommen. Aber Reis, durchgebratenes Fleisch, beides nicht zu stark gewürzt, sicherlich. Sie werden selbst merken, ob und was ihnen bekommt. Bereite mal was vor!“
Während Nasim sich der Wundbehandlung annahm, hantierte Aamir in der Küche. Der aufkommende Duft geschmorter Lammkeule weckte bei Horst und Igor längst verloren geglaubte Lebensgeister. Nachdem Nasim die Untersuchung abgeschlossen und seine Utensilien in den Koffern verstaut hatte, half er Aamir in der Küche. Dem temperamentvollen Verlauf des Gesprächs der beiden Pakistaner entnahmen sie, daß Aamir seinem Schwager ihre unglaubliche Geschichte zu erklären versuchte. Ob es ihm gelang, Nasim zu überzeugen, blieb Horst und Igor freilich verborgen. Endlich traten die beiden mit dampfenden Töpfen und Schalen aus der Küche. Aamir holte noch Wasser, dann nahm er ebenfalls Platz und nickte ihnen auffordernd zu.
Sander und der Russe genossen die Mahlzeit, wie sie selten in ihrem Leben eine Mahlzeit genossen hatten. Aamir erklomm in ihrer Sympathieskala ungeahnte Höhen. Nasim, ein Stück Lammfleisch in der Hand, ergriff schmatzend das Wort: „Der ärztliche Befund ist weniger dramatisch, als ich befürchtet hatte. Die Hungerkur haben Sie gut überstanden, da Sie ausreichend Wasser zu sich nahmen. Sehen Sie es wie ein Heilfasten! Allerdings wird die Heilung Ihrer Hände längere Zeit beanspruchen. Das gilt auch für Ihr Gesicht, Horst, und Ihre Rippenprellung.“ Sein Blick ruhte auf Sander. „Gebrochen ist nichts. Ihre Knie sind ramponiert, ist aber nichts Gravierendes. Innere Verletzungen, soweit dies mit einer solchen Untersuchung feststellbar ist, sind nicht zu befürchten, zumal Sie selbst keine Auffälligkeiten festgestellt haben. Insgesamt bin ich zufrieden.“ Mit genüßlichem Schmatzen vertilgte er das Fleisch, um unverzüglich mit fettigen Fingern in die Reisschale zu langen, ein Reisbällchen darin zu formen und dieses mit deutlich vernehmbaren Kaugeräuschen dem Lammfleisch nachzuschicken. Nasim schmeckte es, ohne jeden Zweifel.
Allmählich leerten sich Schüsseln und Schalen. Erneut war es Nasim, der das Gespräch eröffnete: „Aamir hat mir Ihre Geschichte erzählt. Eigentlich unglaublich, wenn da nicht in Quetta seit langem das Gerücht umginge, in den Kohleminen würde der Untergang der westlichen Welt vorbereitet. So richtig ernst nimmt das keiner, aber wenn ich Ihre Geschichte höre, könnte man
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