Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
besseres Bild machen können. Außerhalb der Reichweite des Soldaten blieb er stehen. Dieser lag in Längsrichtung des Weges, das rechte Bein angewinkelt, die rechte Hand am Kinn, das Gesicht von ihm abgewandt. Der Rücken hob und senkte sich kaum wahrnehmbar, so flach ging sein Atem. Jedenfalls lebte er! Nochmals blickte Sander Richtung Lokomotive. Das Motorengeräusch verriet, daß ihr Einsatz noch nicht beendet war. Sander schaute sich um. Wenige Bogenlampen verstreuten ihr spärliches Licht über die Gleisanlagen und den parallel hierzu verlaufenden Weg. Weit und breit keine Menschenseele. Er konnte nicht davon ausgehen, daß sich zu dieser späten Stunde noch Jogger an diesen entlegenen Ort verirrten. Er mußte eine Entscheidung treffen.
Wieder rief er den Soldaten an, doch dieser reagierte nicht. War er tatsächlich bewußtlos? Von diesem Sturz? Hatte er etwa – trotz seiner Jugend – eine Herzattacke erlitten, die ihn stürzen ließ? Irgendwie paßte das alles nicht zusammen. Sander konnte es wenden, wie er wollte, eine zentrale Frage blieb unbeantwortet: Was hatte der Bursche zwischen den Waggons eines rangierenden Zuges zu suchen? Und dann war da die unter dem Körper verborgene linke Hand! Er versuchte, sich das Bild in Erinnerung zu rufen, die ausgestreckten Arme unmittelbar vor dem Aufprall. Hielt der Kerl nun etwas in der Linken oder nicht? So sehr Sander sich mühte, es wollte sich kein klares Bild einstellen. Er würde verdammt vorsichtig sein!
Sander sah sich um, suchte nach etwas Brauchbarem. Er hatte keine konkrete Vorstellung, was dies sein könnte, er erhoffte sich vielmehr Inspiration von seinem Umfeld. War es ein Stock? Ein Stein? Irgend etwas müßte sich doch finden, womit er sich Gewißheit hinsichtlich des Zustands des Gestürzten verschaffen könnte! Ruhelos glitt sein Blick zwischen diesem und der unmittelbaren Umgebung hin und her, doch es fand sich nichts dergleichen. Schließlich näherte er sich, die Augen stets auf den am Boden Liegenden gerichtet, mit tatstenden Seitwärtsschritten dem Bahndamm, ergriff dort ein Schotterstück und rollte es mit erkennbar gebremstem Schwung gegen den leblosen Körper. Kein Zucken, nicht die geringste Reaktion! Da das Gesicht des Fremden ihm abgewandt war, traf diesen der Stein gänzlich unvorbereitet, dies heftiger, als Sander es gewollt hatte. Undenkbar, daß der plötzliche Aufprall keine Reaktion ausgelöst hätte! Der Mann mußte besinnungslos sein, eine andere Erklärung gab es nicht.
Sander näherte sich vorsichtig dem Leblosen, bis er gut einen Meter oberhalb des Kopfes stand. Er beobachtete ihn einen Moment, dann trat er an ihn heran, beugte sich über ihn, ergriff die rechte Schulter und drehte den Oberkörper halb auf den Rücken. Er sah in das staubbedeckte Gesicht. Der Soldat war Südländer, unzweifelhaft, vielleicht Mitte zwanzig, asketisch, äußerlich unverletzt. Sander achtete auf die linke Hand, die nun unmittelbar neben dem Körper sichtbar wurde. Sie hielt zwei Hölzer umklammert. Hölzer? Sander konnte sich keinen Reim daraus machen. Er lehnte sich zurück, tastete nach der Halsschlagader des Verunglückten, stets den Blick auf dessen linke Hand gerichtet. Er spürte deutlich den Puls. Bevor er aus dieser Feststellung eine Schlußfolgerung ziehen konnte, erfolgte gänzlich unerwartet der mit äußerster Brutalität vorgetragene Angriff.
Der vermeintlich Bewußtlose umklammerte nach einer ansatzlosen, blitzschnellen Bewegung Sanders Hals mit seiner rechten Armbeuge, der mit roher Gewalt ausgeübte Kopfstoß traf den Deutschen an Stirn und Nasenwurzel. Der Fremde nutzte Sanders momentane Wehrlosigkeit, drückte dessen heftig blutendes Gesicht mit der Kraft einer hydraulischen Presse gegen seinen Brustkorb. Sander, um Atem ringend, sog Blut und Staub in seine Lungen. Atemnot und Hustenreiz ergänzten sich apokalyptisch. Zusätzlich unterband der immense Druck der Armbeuge die Blutzufuhr durch die Halsschlagader. Sander wußte in diesem Moment, es ging um Leben und Tod! Seine Situation war fatal, da sie jede Gegenwehr kolossal erschwerte. Er lag entgegengesetzt zu dem vermeintlich Verletzten, den Kopf, eingezwängt in der schraubstockgleichen Armbeuge des Gegners, mit dem Gesicht gegen dessen Brustkorb gepreßt. Würgender Husten unterband das Atmen, er drohte, in wenigen Sekunden das Bewußtsein zu verlieren, Beine und Füße zu weit vom Angreifer entfernt, um sie wirkungsvoll zur Abwehr einsetzen zu können.
Während dieser
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