Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
kurzgeschorener Kahlkopf, zu dem die tiefschwarzen Augenbrauen in einem beeindruckenden Kontrast standen. Man sah ihm den Reserveoffizier an. Dank regelmäßiger Reserveübungen hatte er es bei den Fallschirmjägern bis zum Oberstleutnant der Reserve gebracht, bevor der Kanzler ihn rief. Sie kannten sich vom Studium her, waren beide Mitglieder des ASTA, wenn auch Anhänger politisch gegensätzlicher Flügel. Tagsüber stritt man, abends stand man einträchtig am Tresen. Das verbindet. Im Zivilberuf war Hagemeyer Flugzeugbauer, bis zu seinem Wechsel in die Politik in maßgeblicher Position eines europäischen Konzerns tätig. Seine Vita war insbesondere dem Gewerkschaftsflügel der Opposition ein Dorn im Auge. Er gehörte der Elite an, zuweilen ließ er dies seine Widersacher merken. Er konnte eckig sein, geradeso, wie der Kanzler. Gemeinsam hatten sie gegen erbitterten Widerstand engagierter Parteiflügel so manches Projekt durchgepaukt. Sie betrachteten sich als Gefahrengemeinschaft, entsprechend offen war ihr Verhältnis. Es bedurfte keiner Floskeln, es gab keine Empfindlichkeiten. Das war der Stoff, auf den sich Männerfreundschaften gründen – unkompliziert, schlagkräftig, belastbar.
Der Kanzler erhob sich, deutete auf die Sitzecke. „Setz dich, Walter!“ Er umkurvte den ausladenden Schreibtisch und nahm auf dem schräg gegenüberstehenden Sessel Platz. Die Tür zum Vorzimmer öffnete sich zögerlich. „Kommen Sie rein, Helena!“ Eine junge Dame bugsierte einen Servierwagen durch den Rahmen. Das Gefährt strahlte bodenständigen Luxus aus, dem Büro des Bundeskanzlers angemessen. Helena lächelte gewinnend. Ihre Gesichtszüge verrieten die hellenische Abstammung. Sie war Praktikantin und seit Mitte Juni Assistentin von Corinna Siewert, Chefin des Vorzimmers, zur Zeit auf den Malediven. Helena genoß die Herausforderung, für begrenzte Zeit direkter Ansprechpartner des Kanzlers zu sein. „Milch, wie immer?“
Der Kanzler nickte. „Klar, Mädchen!“
Sie warteten, bis Helena den Raum verlassen hatte. „Also Walter, was hat sich Gravierendes ereignet?“
Dr. Hagemeyer versenkte gekonnt ein Stück Kandiszucker in seinem Tee, begann, ihn gleichmäßig zu rühren. Er schaute zum Kanzler hinüber. „Pullach hat sich gestern abend gemeldet. Unsere amerikanischen Freunde haben auf der Air Base in Ramstein einige Tage einen Deutschen verborgen gehalten, ob vor uns oder vor Dritten, können wir momentan nicht abschätzen. Wir wissen auch nicht, wer sich hinter dem Deutschen verbirgt. Es gibt da einige Ungereimtheiten.“
Der Kanzler richtete sich spontan in seinem Sessel auf. „Mensch, Walter! Bloß keine neuen CIA-Flüge von deutschem Boden aus! Ist der Knabe etwa Muslim?“
Dr. Hagemeyer zuckte die Schultern. „Wir wissen es nicht. Wir haben auch keine Handhabe, in dieser Sache tätig zu werden, jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Angeblich ist er amerikanischer Staatsbürger, in Cleveland ansässig. Wir haben das überprüft. Negativ! Den Kerl gibt’s dort nicht!“
Der Kanzler wirkte beunruhigt. „Mist! Wir haben in vier Wochen Bundestagswahl! Wir können so etwas aktuell nicht gebrauchen, egal, welcher Fakultät der Typ angehört. Die Medien werden sofort wieder alles aufwärmen, dann kocht die ganze Chose wieder hoch. Wir haben knapp vier Millionen Moslems im Land. Das sind Wähler! Wir brauchen jede Stimme!“ Er stand auf, ging zur Fensterfront, um gleich wieder zurückzukehren und sich in den Sessel fallenzulassen. „Was liegt in diesem Zusammenhang noch vor? Hoffentlich auch Gutes!“ Der Kanzler lächelte seinem Gegenüber aufmunternd zu, als wollte er die Qualität der auf ihn zukommenden Informationen zu seinen Gunsten beeinflussen.
Dr. Hagemeyer verzog keine Mine. „Es soll in der Air Base einen Überfall auf den Deutschen gegeben haben. Mit tödlichem Ausgang.“
Der Kanzler schaute verdutzt. „Dann ist er ja tot! Dann ist das eine Sache der Amerikaner, solange sie sich nicht melden.“
Der Kanzleramtsminister schüttelte den Kopf. „Eben nicht. Der Deutsche lebt; den Attentäter hat‘s erwischt. Aber es kommt noch toller. Dessen Leiche ist spurlos verschwunden. Auf der Air Base verlief die Suche bisher ergebnislos.“
Der Kanzler gab sich keine Mühe, sein Erstaunen zu verbergen. „Das heißt, die Amis haben nicht mitbekommen, was da so alles aus ihrer Air Base verschwindet?“
Hagemeyers Antwort fiel denkbar knapp aus: „Nicht nur die Amis. Wir auch.“
Der Kanzler
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