Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
lehnte sich mit einem unwirschen Schnaufen zurück, schien plötzlich tief in Gedanken versunken. Hagemeyer ließ ihn gewähren; man kannte sich schließlich. Ohne sich aufzusetzen, stellte der Regierungschef, eingeleitet von einem tiefen Seufzer, die Frage aller Fragen, konnte die Antwort doch entscheidend für den Wahlausgang sein. Zu sehr waren die Medien auf derartige Gelegenheiten fixiert, spielend würden sie damit die kommenden Wochen füllen können, den Bezug zu Guantanamo herstellen und schließlich zu ihm, dem sich zur Wiederwahl stellenden Kanzler, dem bisher unangreifbaren Macher. „Wo ist der Typ jetzt?“
Der Kanzleramtsminister setzte die Tasse ab. „Das ist ja das Verrückte. Gestern wollte ein Amerikaner, vermutlich sein Aufpasser, mit dem Deutschen nach Rußland ausreisen. Rußland! Bei der Paßkontrolle ergab sich, daß er offiziell amerikanischer Staatsbürger ist. Damit wären wir aus dem Schneider. Auf der Air Base firmierte er allerdings als Logistik-Experte, gestern war er plötzlich Anlagenbauer, Experte für Kraftanlagen. Unser Cross-Check ergab, daß es einen Knaben mit dieser Legende nicht nur in Cleveland, sondern in den gesamten Vereinigten Staaten nicht gibt! Die Amerikaner verschleiern etwas. Daß sie uns nicht in Kenntnis setzen besagt, daß sie nicht mit unserem Einverständnis für ihr Handeln rechnen.“
Der Kanzler zuckte die Schultern. „Wenn er Amerikaner ist, sollten wir es dabei belassen. Dann geht uns die Sache doch gar nichts an!“
Hagemeyer schoß in seinem Sessel nach vorn. „Mein Gott, Werner, sei nicht so naiv! Letztes Mal ging‘s um einen Libanesen, und wem haben Sie‘s in die Schuhe geschoben? Dem deutschen Außenminister! Gut vierzehn Tage waren die Zeitungen voll davon! Jetzt geht‘s um einen vermeintlichen Deutschen mit bemerkenswert variabler, von den Amis offensichtlich manipulierter Legende! Das bietet wochenlang Stoff für Schlagzeilen! Es wäre ein gefundenes Fressen für die Opposition, könnte sie sich – geifernd vor schriller Empörung – mit mediengeiler Aufgeregtheit auf dich stürzen! Das Instrumentarium ist doch hinreichend bekannt. Trotzdem fällt der deutsche Michel immer wieder darauf ‘rein. Du hast den amerikanischen Präsidenten kritisiert, vergiß das nicht! Von dort kannst du keine Unterstützung erwarten. Die Gerüchte werden hochkochen, auf hoher Temperatur mit nicht minder hoher Motivation am Köcheln gehalten, bis zu den Wahlen allemal. Wir werden alle Hände voll zu tun haben, uns zu verteidigen, während die Opposition zur Attacke bläst. In der Defensive hat eine Regierungspartei bei Wahlen noch nie gut ausgesehen!“
Sie kannten sich zu gut, als daß der Kanzler nicht erkannt hätte, daß Hagemeyer in hohem Maße beunruhigt war. Die Einleitung ‚Mein Gott, Werner!‘ hatte alarmauslösende Funktion! „Aber das ist doch alles sehr vage, Walter! Vielleicht ist er wirklich Amerikaner. Zigmillionen Deutschstämmige leben dort! Ist der Kerl nun in Rußland?“
Hagemeyer goß sich eine weitere Tasse ein. Er selbst hatte große Probleme, diese Vorgänge in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Wie sollte es ihm da gelingen, den Kanzler dergestalt ins Bild zu setzen, eine angemessene Entscheidung treffen zu können? Bisher bestimmten eher Gefühle das Handeln als konkretes Wissen. Hagemeyer wußte, daß Gefühle nicht die Basis sind, effiziente Strategien zu entwickeln, schon gar nicht, um damit Wahlen zu gewinnen. Andererseits sagte ihm sein Gefühl, daß Gefahr in Verzug war. Sein Gefühl hatte ihn selten getäuscht, basierte es doch auf einer kumulierten Lebenserfahrung, die Ihresgleichen suchte. Doch wie sollte er die Botschaft formulieren, wenn er selbst nicht ihren Inhalt und schon gar nicht ihr konkretes Ziel kannte? Er bereute in diesem Moment, um den Termin gebeten zu haben. Er hätte erst das Ergebnis aller Recherchen abwarten sollen. Vielleicht sah er Gespenster!
„Ist der Kerl nun in Rußland oder nicht?“
Hagemeyer erschrak, als der Kanzler ihn in die Wirklichkeit zurückholte. Er beschloß, den gesamten Vorgang zu berichten. Vielleicht würde ihnen im Verlauf der Schilderung das eine oder andere auffallen, vielleicht kämen sie gemeinsam zu einer tragfähigen Beschlußfassung. „Laß mich vorn beginnen! Zunächst gab‘s Probleme bei der Ausreise, da der Deutsche – nennen wir ihn so – als Folge des Attentats eine Augenbinde und einen Kopfverband trug, der nur einen Ausschnitt der Gesichtspartie
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