Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
in diverse Taschen. Mehr hatten sie nicht. „Ich geh‘ voran, du bleibst unten, bis ich dich rufe. Die Kriecherei mit der Handlampe und dem baumelnden Wurfanker wird vermutlich kein Vergnügen. Außerdem sollten wir die Akkus schonen. Hefte deine Lampe an den Overall, dort, wo sie dich am wenigsten stört. Besser, wir haben eine in Reserve. Ich leuchte dir den Weg. Hier hast du einen Handschuh, dann haben wir beide das gleiche Leid zu ertragen. Bis wir oben sind, hängt uns vermutlich die Haut von Knien und Handflächen. Und vor allem: Achte auf deinen Kopf! Die Decke ist verdammt niedrig!“
Der Aufstieg geriet mühseliger, als erhofft. Vor allem der Russe hatte Probleme, sich an diese Art des Kletterns zu gewöhnen. Bald rann ihm Blut von der Stirn. Unzählige Male war er an die Stollendecke gestoßen, was jedes Mal eine wahre Kaskade übelster Flüche auslöste. Fluchen, das mußte Sander ihm neidlos zugestehen, konnte Igor wie kein anderer! Endlich erkannte Sander im Scheinwerferlicht die Stelle, an der ein Rest von Mauerwerk den Übergang in die Sulaiman-Mine kennzeichnete. „Igor, gleich verlassen wir dein Reich und betreten das meinige! Dort machen wir Pause und erheben unsere Wasserflaschen auf das Wohl der an dieser Stelle vom Gestein Erschlagenen!“ Sander wunderte sich, wie er mit der Situation umging, die ihm vor kurzer Zeit noch Grauen bereitete. War es die Anwesenheit des Russen? War es das Licht? Er spürte plötzlich die in Staub gebetteten Schwellen des Feldbahngleises unter seinen Händen. Verrückt – er hatte wahrhaftig das Gefühl, als kehre er in vertrautes Territorium zurück, als wäre er bereits in Sicherheit. Statt dessen betraten sie nichts als ein weiteres Reich der Finsternis, das ihn noch vor kurzer Zeit aller Hoffnungen beraubte, wiederholt an den Rand des Wahnsinns trieb. Hatte er das alles verdrängt?
Sander half dem Russen durch den Wanddurchbruch und wies auf das Loch, das vor dem Beben den Stamm aufgenommen hatte. „Tritt in die Vertiefung! Du kannst dich darin aufrichten.“ Igor streckte sich unter Schmerzen. Sander besah sich kritisch die Wunden. „Ich werde dir aus Verbandmull einen Turban wickeln, dann sind deine Zusammenstöße mit der Decke ein wenig gedämpfter.“
Kurz darauf betastete der Russe skeptisch das Mullgebilde, das seinen Kopf oberhalb der Augenbrauen wie ein Helm umgab. Sander schaute währenddessen auf den sich an der Querwand aufhäufenden Schuttkegel aus Felsbrocken und losem Geröll, der meterhoch die Stelle bedeckte, an der er sich von Weißenfels verabschiedet hatte. ‚Sie zuerst!‘ Er hörte die letzten Worte noch. Er würde sie sein ganzes Leben hören. Ohne Furcht schaute er auf das Grab aus Felsgestein, dann glitt sein Blick darüber hinweg, immer dem Strahl der Handlampe folgend, in den Querstollen, von dem nur noch die Decke zu sehen war. Dort hatte er vor gar nicht langer Zeit die Leistung der beiden Bergleute bewundert. Nun lagen auch sie irgendwo begraben, hatten für Ewigkeit unverhofft ihre Ruhe gefunden.
Sander schwenkte den Lichtstrahl zurück, starrte einen Moment auf den Schuttkegel, unter dem Weißenfels sein unwürdiges Grab gefunden hatte. Er fühlte sich plötzlich unwohl. Solange sie diesem gottverdammten Schacht nicht entkommen waren, hätten sie nicht den Hauch einer Chance, sollte eine weitere Steinlawine abgehen! Er nickte dem Russen zu. „Komm, laß uns weitermachen!“
Igor legte mit erkennbarem Galgenhumor Protest ein. „Moment – was ist mit dem Toast auf die Verblichenen?“
Sander schien plötzlich kurz angebunden. „Später! Dort oben haben wir erneut Gelegenheit.“, kam es gepreßt über seine Lippen. Igor erkannte, daß in diesem Moment mit dem Deutschen nicht zu spaßen war.
Sander wurde während ihres verbissenen Aufstiegs bewußt, daß dieser Abschnitt wesentlich kürzer als der untere war. Er hatte das umgekehrt in Erinnerung. Die Euphorie, die das schimmernde Flackern damals in ihm auslöste, hatte den Abstieg vermutlich beflügelt, die Entfernung angesichts des verlockenden Ziels schrumpfen lassen. Damals! Wie lange mochte das her sein? Zwischen Ereignis und Erinnerung schienen sich Welten geschoben zu haben. Das Zurückliegende wirkte fremd, nicht selbst erlebt. Wo lag die Grenze zwischen Realität und Alptraum? Wem sollte er seine Erlebnisse glaubhaft machen, wenn er inzwischen selbst daran zweifelte? Er würde sie für sich behalten, das wäre das beste.
Sander hielt an, um dem Russen, der
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