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Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)

Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)

Titel: Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Justus
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keuchend mit grotesker Körperverrenkung den Schlitten hinter sich herzog, den Weg zu leuchten. Sander betrachtete das Gleisbett des Schrägaufzugs, der irgendwo dort unten unter dem Schutt begraben lag. Sein Blick glitt von dort über die glitzernden Stollenwände, das Schattenspiel der bedrückend niedrigen Decke – alles sog er in sich auf, immer in dem Bewußtsein, das alles in tiefster Finsternis schon einmal durchquert zu haben. Hätte er jemals geglaubt, den Weg seines ertasteten Abstieges irgendwann sehend in sich aufnehmen zu können? Er konnte es auch jetzt nicht fassen. Die beiden kurz hintereinander durchlebten Welten waren zwar identisch, doch sie schienen nicht kompatibel.
    Igor hatte zu Sander aufgeschlossen. „Weiter!“ Sander drehte sich zum Berg und kroch voran. Er sah im Lichtkegel das sich seitlich aufbäumende Gleis. Sein Herz klopfte rascher, er spürte den pochenden Puls. Nur noch wenige Meter, und sie würden die Kaverne erreicht haben! „Igor, gleich haben wir die Hälfte hinter uns. Hier machen wir Pause. Der Rest ist ein Kinderspiel!“ Eine innere Stimme sagte ihm, daß diese Bemerkung in höchstem Maße voreilig war, eine Herausforderung des Schicksals möglicherweise. Vielleicht wollte er dem Russen nur Mut machen, doch das rechtfertigte nicht diesen Übermut! Jedenfalls würde er ab sofort zurückhaltender sein.
    Sander hatte den Schachtmund erreicht. Im Licht des Scheinwerfers sah er, daß der Boden der Kaverne genau in der Richtung abgesackt war, wie er dies auf der Drehscheibe ertastet hatte. Auch die Drehscheibe lag in etwa so, wie er sich das in seiner Phantasie ausgemalt hatte. Nur die Entfernung zum gegenüberliegenden Schachtmund war kürzer, als sie ihm beim Abstieg vorgekommen war. Er leuchtete die Kaverne aus. Der Grund unterhalb der Laderampe – dort lag jetzt die Drehscheibe – war um gut einen Meter abgesackt, der linke Deckenbereich teilweise eingestürzt, fast so, wie er es durch seine Steinwürfe und Tasterei erahnt hatte. Nur die Nische, in der die beiden Pakistaner saßen, war nicht eingestürzt, wie er dies zuvor angenommen hatte. Es war vielmehr der Ausbruch aus dem Kavernengewölbe, der sich vor ihr auftürmte. Eine Schiene des Schrägaufzugs hatte sich wie ein Korkenzieher in die Nische gebohrt. Demzufolge war ein Teil des Kavernengewölbes bereits eingestürzt, bevor die Urgewalt des Bebens das Gleis und dessen filigrane Tragkonstruktion derartig deformierte, daß ein Teil davon über die aufgetürmten Felsbrocken zurückschnellte, sich nun Richtung Nische wandte. Es war grotesk – Sander, ganz Ingenieur, befaßte sich mit der technischen Bestandsaufnahme, statt den weiteren Aufstieg zu planen! Er wurde aus den Tiefen seiner Begutachtung gerissen, als er unter sich das Rufen des Russen hörte. Richtig, den hätte er beinahe vergessen! Er stieg umständlich aus dem Schacht, wandte sich Igor zu und leuchtete ihm den Weg.
    Keuchend erreichten sie den Rand des Umschlagbereichs, dort, wo ursprünglich die Drehscheibe ihren Dienst verrichtete. Sie setzten sich, rieben sich behutsam die schmerzenden Knie. Sander zog den rechten Handschuh aus, reichte ihn dem Russen. „Gib mir den linken! Wir tauschen sie hier!“ Der Russe verstand und zog sich den Handschuh mit den Zähnen aus. Erst jetzt sah Sander, daß Igors Rechte vom Ziehen des Schlittens bis tief ins Fleisch blutig gescheuert war. Er griff in Igors Brusttasche, holte Jodtinktur, Wundsalbe und Verbandzeug hervor. „Zeig mir mal deine Hand!“ Der Russe verzog stumm das Gesicht, als Sander die Wunde desinfizierte. ‚Ist schon ein harter Hund. Sollten wir das überstehen, wir könnten Freunde werden!‘
    Sie tranken abwechselnd aus Sanders Flasche. Keiner wagte es, Igors Schlittenkonstruktion zu öffnen; sie hätten sie mit ihren zerschundenen Händen nicht wieder schließen können. Während Igor skeptisch die verbundene Handfläche begutachtete, ließ Sander den Blick kreisen. Links oberhalb von ihnen befand sich der aufsteigende Schacht, neben dem er gekauert hatte, als die Steinlawine abging, ganze Deckenbereiche sich auflösend in die Tiefe stürzten. Rechts unterhalb von ihnen öffnete sich bedrohlich der in jähem Gefälle in die Unterwelt führende Aufzugschacht, an dessen Ende Weißenfels der Tod ereilte. In Sanders Rücken wiederum befand sich der Stollen, in dem seine vermeintliche Erblindung ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Ob die Steine noch so lagen, wie er sie hinterlassen

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