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Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)

Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)

Titel: Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Justus
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seine Lippen. Igor reichte sie ihm. Sander hielt den Handstrahler mit beiden Händen, doch der Lichtkegel verriet sein Zittern. Unbeweglich starrte er in die Kaverne. Dann ging ein Ruck durch ihn, er schwenkte den Scheinwerfer nach links, der Lichtkegel erfüllte die Nische mit gleißendem Licht.
    Dort saßen, bis über die Bäuche von grobem Geröll gegen die Felswand gepreßt, die beiden Bergleute, fast so, wie Sander sie in Erinnerung hatte. Nur die Proportionen stimmten nicht, waren ihre Hälse doch unverhältnismäßig lang, etliche Zentimeter über das übliche Maß hinausgehend. Erst bei genauem Hinsehen erkannte er – dort waren keine Hälse! Eine Schiene des Aufzuggleises hatte ihnen die Köpfe vom Körper getrennt, diese samt ihren Helmen im Zwickel zwischen Nischendecke und Rückwand eingeklemmt. Von den Helmen hingen noch immer die Kabel ihrer Leuchten. Die Schiene muß gerade so weit zurückgeschwungen sein, daß sie die Position der Schädel stabilisierte, ohne sie zu quetschen. Die Gesichter zeigten keinerlei Verletzung, ihre Münder standen offen, als würden sie noch immer erzählen. Man sah ihre Zähne – unwirkliches Weiß in der vollkommenen Schwärze der Umgebung –, da die Unterlippen herabgesunken waren. Unterhalb der halbgeschlossenen Lider starrten schwermütige Augen in die Dunkelheit. Es schien, als hätten sie gerade erst ihr Gespräch beendet, als warteten sie noch auf Weißenfels‘ Rückkehr, um gemeinsam an die Oberfläche zurückzukehren.
    Sander glaubte, den Verstand zu verlieren. Die Erinnerung kam hoch, gnadenlos, sie ließ sich nicht unterdrücken, so sehr er sich auch mühte. Er hörte ihr Gespräch, diese leise, gleichförmige Unterhaltung unmittelbar vor dem Ausbruch der Katastrophe. Er sah den linken der Köpfe noch grinsen, als er angsterfüllt auf dem Wagen des Schrägaufzugs lag, ihm das ‚Sir!‘ wie der Ruf Gottes erschien. Dieses ‚Sir!‘ war aus jenem Mund gekommen, der dort, halbgeöffnet, sich noch immer mühte, sein letztes Wort zu vollenden! Jetzt erst bemerkte Sander, daß dem rechts Sitzenden der linke Arm abgetrennt war, brutales Werk einer Stahlschwelle. Sander verspürte heftiges Würgen. Er atmete tief.
    „Du mußt es tun!“ Es war Igor.
    Sander gab dem Russen die Lampe. Natürlich würde er es tun! Er war über seine plötzlich eintretende Abgeklärtheit überrascht. War es der Schock? Was würde danach kommen? Wie in Trance ergriff er den Arm, roboterhaft kletterte er über das rutschende Geröll, bis er die Nische erreichte. Er stand hoch auf dem Schutt, vorsichtig darauf bedacht, die beiden Körper nicht zu belasten. Einen Moment verharrte er, als würde er sich die nächste Handlung überlegen. Er legte den Arm vor den dazugehörenden Körper, dann wandte er sich nach links und ergriff nach kurzem Zögern mit beiden Händen den Kopf, der ihm am Schrägaufzug das ‚Sir!‘ zugerufen hatte. Er zog vorsichtig daran, doch die Schiene wollte ihn nicht preisgeben. Er zog nochmals, kaum heftiger, noch immer zögerlich. Vergeblich. Ein leichter Dreh am Helm, mit schmatzendem, Gänsehaut auslösendem Geräusch kam der Kopf frei.
    Das Gewicht des Kopfes war größer, als er vermutet hatte. Seine Hände sackten ein wenig durch, bevor er ihn auffing. Vorsichtig darauf bedacht, daß der Helm nicht verrutschte, legte er den Kopf vor dem Brustkorb des Bergmanns ab. Er schloß dem Toten die Augenlider, dann versuchte er dies mit dem Mund. Sinnlos, der Unterkiefer senkte sich immer wieder, ganz langsam, als sei er hydraulisch gedämpft. Sander gab schließlich auf. Er machte einen Schritt nach rechts, suchte Halt auf dem Geröll, dann nahm er sich mit gleicher Einfühlsamkeit des anderen Kopfes an. Die Schiene gab diesen schon beim ersten Versuch frei. Er bettete ihn, genau wie den ersten, vor der Brust des Toten. Er überlegte einen Augenblick, dann nahm er die Helme von den Köpfen und legte sie zur Seite. Die ganze Zeit hatte er vermieden, die aus der Montur ragenden Halsstümpfe anzusehen, doch irgendwann überwand er seinen Widerwillen. Er betrachtete die Leichen mit distanzierter Neugier, wie dies ein Medizinstudent in der ersten Anatomieübung tut. Der Tod hatte endgültig seinen Schrecken verloren.
    Nun fing er an, Stein um Stein um Köpfe und Körper zu schichten. Igor, der die ganze Zeit die Lampe hielt, stieg nun ebenfalls auf die Halde und klemmte den Handstrahler hinter die Schiene. Sie legten beide Stein um Stein an die toten Körper, bedeckten

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