Das Scarlatti-Erbe - Ludlum, R: Scarlatti-Erbe
später ging Canfield durch die Halle des Savoy in den Grill Room und bestellte dort sein Frühstück. Es war jetzt nicht die Zeit, auf Nahrung zu verzichten. Er brauchte die Energiezufuhr.
Er hatte die Bertholde-Akte mitgenommen. Nun legte er sie neben seinen Teller, schlug sie auf und begann zu lesen.
Jacques Louis Aumont Bertholde, vierter Marquis von Chatellerault.
Es war eine Akte, wie es so viele andere Akten über die Superreichen gab. Erschöpfende Einzelheiten über den Familienstammbaum. Die Positionen und Titel eines jeden einzelnen Familienmitglieds im Geschäftsleben der Regierung und der Gesellschaft, über mehrere Generationen hinweg – alles höchst eindrucksvoll und für jeden Außenstehenden völlig bedeutungslos. Die Bertholde-Besitzungen – gigantisch – in erster Linie, so wie Elizabeth Scarlatti gesagt hatte, innerhalb der britischen Territorien. Die Ausbildung der fraglichen Person und sein darauffolgender Aufstieg in der Geschäftswelt. Seine Klubs – alle sehr korrekt. Seine Hobbies – Automobile, Pferdezucht, Hunde – ebenfalls korrekt. Die Sportarten, in denen er sich hervorgetan hatte – Segeln, das Matterhorn und die Jungfrau – nicht nur korrekt, sondern auch reizvoll und äußerst passend. Und schließlich die Einschätzung seines Charakters. Der interessanteste Teil und doch derjenige, den die meisten zu vernachlässigen pflegten. Gewöhnlich stammten die schmeichelhaften Beiträge von Freunden oder
Geschäftspartnern, die sich davon einen Vorteil erhofften. Nicht schmeichelhafte Beiträge andererseits stammten von Feinden oder Konkurrenten, die seine Position untergraben wollten.
Canfield holte einen Bleistift heraus und machte zwei Anmerkungen in der Akte.
Die erste auf Seite 18, Absatz 5. Er tat das abgesehen davon, daß dieser Abschnitt deplaziert wirkte – unattraktiv – und den Namen einer Stadt enthielt, von der Canfield sich erinnerte, daß sie auf Ulster Scarletts europäischer Reiseroute gelegen hatte.
>Die Bertholde-Familie besitzt ausgedehnte Interessen im Ruhrgebiet, die einige Wochen vor dem Mord von Sarajewo an das deutsche Finanzministerium verkauft wurden. Die Bertholde-Büros in Stuttgart und Pullach wurden geschlossen. Der Verkauf führte in französischen Geschäftskreisen zu einigen unfreundlichen Kommentaren, und die Familie Bertholde wurde von den Generalstaaten und in zahlreichen Zeitungsartikeln kritisiert. Vorwürfe, daß irgendwelche Unregelmäßigkeiten vorgekommen seien, unterblieben auf die Erklärung hin, daß das deutsche Finanzministerium einen exorbitanten Preis bezahlt hätte. Diese Behauptung ist bewiesen. Nach dem Krieg wurden die Interessen an der Ruhr von der Weimarer Regierung zurückgekauft, die Büros in Stuttgart und Pullach wieder eröffnet. <
Der zweite Hinweis auf Seite 23, Paragraph 2, bezog sich auf eine der erst kürzlich gegründeten Gesellschaften Bertholdes, und enthielt die folgenden Informationen: >Die Partner des Marquis de Bertholde in der Importfirma sind Mr. Sydney Masterson und Mr. Harold Leacock...<
Masterson und Leacock.
Beide standen auf der Züricher Liste. Jeder besaß eines der vierzehn Anwesen in der Schweiz.
Keineswegs überraschend. Das war das Bindeglied zwischen Bertholde und Zürich.
Überhaupt nicht überraschend, eher angenehm – im professionellen Sinn – zu wissen, daß ein weiteres Teil in das Puzzle paßte.
Während Canfield seinen Kaffee austrank, trat ein unbekannter
Mann in der Livree des Savoy auf ihn zu. »Ich habe zwei Mitteilungen für Sie, Sir.«
Canfield war verblüfft. Er griff nach den Blättern, die ihm hingereicht wurden. »Sie hätten mich ausrufen lassen können. «
»Die beiden Herrschaften haben uns gebeten, das zu unterlassen, Sir.«
»Ich verstehe. Vielen Dank.«
Die erste Nachricht kam von Derek. >Nehmen Sie mit mir Kontakt auf!<
Die zweite kam von Elizabeth Scarlatti. >Bitte, kommen Sie um halb drei in meine Suite. Es ist äußerst dringend. Vorher kann ich Sie nicht empfangen. <
Canfield zündete sich eine seiner dünnen Zigarren an und ließ sich in den Stuhl zurücksinken. Derek konnte warten. Wahrscheinlich hatte der Engländer von Benjamin Reynolds’ neuer Übereinkunft mit der britischen Regierung gehört und war entweder wütend oder empfand das Bedürfnis, sich entschuldigen zu müssen.
Madame Scarlatti hatte jedoch eine Entscheidung getroffen. Wenn Janet recht hatte, verlor die alte Dame allmählich die Fassung. Wenn er für den Augenblick den
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