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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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legte er
auf den kleinen Tisch. Dann sah er sie wieder mit diesem dunklen
Blick an.
    Sie blieb in einiger Entfernung von ihm stehen. Er sollte das
Hemd über der Hose tragen, entschied sie still, dann
würde es nicht so um seinen Bauch spannen. Überhaupt
– nur ein paar kleine Änderungen wie mal ein buntes
Hemd statt der ewigen weißen und eine helle Hose statt der
unabänderlichen dunkelblauen würden bestimmt Wunder
wirken. Aber wahrscheinlich hatte Arved in seinem Kleiderschrank
nur weiße Hemden und blaue Hosen, damit er sich morgens
nicht überlegen musste, was er anziehen sollte. Ihr
gemeinsames Erlebnis in jener anderen Welt hatte ihn erwachsener
und reifer gemacht, doch es blieb noch viel zu tun…
    »Was verschafft mir die Ehre Ihres unverhofften
Besuchs?«, fragte sie und zog die Mundwinkel belustigt
hoch, als sie bemerkte, wie die Blässe auf seinem Gesicht
langsam schwand und sich rote Flecken auf den Wangen
bildeten.
    Arved räusperte sich und deutete auf das Buch. »Das
hier.«
    »Wollen Sie es mir zurückbringen? Sie hätten
es einfach in die Mülltonne stopfen können – das
hätten Sie schon gestern tun sollen.«
    »Im Gegenteil. Ich habe es gelesen.«
    »Schön.« Sie wartete auf ein
vernünftiges Wort von ihm.
    »Es ist… ich habe fast die ganze Nacht gelesen,
und heute Morgen auch – mit Unterbrechungen.«
    Sie sparte sich einen Kommentar dazu und sah ihn nur
auffordernd an, während sie die Hände in die
Hüften stemmte und ungeduldig vor und zurück
wippte.
    »Ich wüsste gern, wer der Autor ist und ob er noch
etwas geschrieben hat.«
    »So gut war es?«, fragte Lioba ungläubig.
    »Nicht eigentlich gut… ich weiß
nicht… aber intensiv. Unheimlich intensiv.«
    »Offenbar. Es hat ein Gespenst aus Ihnen gemacht. Einen
Schatten. Aber so heißt das Buch ja auch, oder? Wie
wäre es mit einem Kaffee?«
    Arved nahm dankbar an, und sie zog sich in die Küche
zurück. Während sie den gemahlenen Kaffee in die
Glaskanne schaufelte und gleichzeitig den Wasserkocher in Gang
setzte, musste sie unwillkürlich lächeln. Arved
brauchte mal wieder etwas, woran er sich festhalten konnte, bevor
er in der Lage war, freier zu reden. Wie mochte er damals seine
Predigten gehalten haben? Mit der Kaffeetasse in der Hand?
    Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, saß er noch immer
reglos da. Sie stellte ihm die volle Tasse hin; er packte sie und
hielt sie sich vor den Mund, ohne jedoch einen Schluck zu nehmen.
Nachdenklich schaute er in die braune Flüssigkeit, aus der
leichter, gekräuselter Dampf aufstieg. Lioba setzte sich in
den anderen Sessel und schlug die Beine übereinander. Sie
machte es eigentlich nur, weil sie seine verklemmten Blicke sehen
wollte. Sie wusste, dass sie schöne Beine hatte – das
einzig Schöne an ihr, wie sie fand, denn für ihren
Geschmack war ihr Körper zu groß und knochig, ihre
Augen standen zu eng beieinander, die Nase war etwas zu breit,
die Brust etwas zu groß und diese weißen
Strähnen in den Haaren… Aber was sollte es, die
Männerwelt war für sie wie eine Wüste, die sie
schon vor längerer Zeit erfolgreich durchquert hatte. Sie
zwang sich, nicht lauthals loszulachen, als Arved wieder einmal
auf ihre Beine stierte. Sie musste sich eingestehen, dass ihr
diese Blicke doch noch gefielen. »Sie wollen also etwas
über den Autor erfahren?«, fragte sie
schließlich und zündete sich einen Zigarillo an.
    »Ich habe schon versucht, etwas über ihn
herauszufinden – vorhin in den Wittlicher Buchhandlungen.
Ich hatte aber kein Glück. Und da ist mir der Gedanke
gekommen, dass… dass…«
    »… dass Sie Ihre alte Freundin Lioba
belästigen, ihr die Zeit stehlen und sie auf diesen Autor
ansetzen könnten«, beendete die Antiquarin den Satz
für ihn.
    »Nein, nein, so war das selbstverständlich nicht
gemeint«, verteidigte sich Arved sofort.
    Warum sagst du nicht die Wahrheit, dachte Lioba. Nach deinem
Abstieg in die Hölle hatte ich geglaubt, du seiest zum Mann
gereift, aber du scheinst allmählich wieder in deine alten
Gewohnheiten zurückzusinken. Schade. Dir fehlt jemand, der
dich ins Leben stößt. Nicht dass ich das sein wollte.
Keineswegs. Ich wäre viel zu mütterlich für dich.
Außerdem bin ich zu alt, oder? »Natürlich war es
so gemeint. Aber was ist daran so schlimm, dass man es nicht
zugeben könnte?«
    »Ich wollte Sie nicht belästigen.«
    Du willst nie jemanden belästigen, dachte Lioba. Hast du

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