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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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denn
schließlich war er kein Literaturexperte. Arved
verspürte eine starke innere Unruhe und verließ das
Haus.
    Lange streifte er durch die Wälder um Manderscheid,
kletterte hinab in den Achtergraben, wieder hinauf zum
Lieserpfad. Er genoss die reinigenden Anstrengungen des Weges.
Zwei Stunden später war er sowohl sehr müde als auch
sehr hungrig. Inzwischen hatten alle Restaurants für den
Nachmittag geschlossen, und Arved wollte sich nicht selbst etwas
kochen, also kehrte er im Eifel-Döner ein.
Während er auf sein Döner-Lahmacun wartete, dachte er
wieder über das Schattenbuch nach. Ein seltsamer Titel, der
in keiner der drei Geschichten aufgenommen wurde. Wahrscheinlich
nannte man das dichterische Freiheit. Während des ganzen
Weges hatte er über das eine oder andere Motiv aus den
Novellen nachgedacht. Er hatte Mitleid mit den Opfern empfunden,
auch wenn sie in gewisser Weise an ihrem Untergang Schuld oder
zumindest Mitschuld trugen. Daher waren die Geschichten zwar
irgendwie moralisch, aber auch sehr unbefriedigend und
ließen den Leser in einer starken Spannung zurück. Das
Gute hatte gewonnen und gleichzeitig verloren.
    Arved erhielt sein Lahmacun und setzte sich an einen der blank
gescheuerten Tische. Während er aß, dachte er weiter
über das Schattenbuch nach. Man konnte beinahe den Eindruck
bekommen, dass diese Geschichten nicht alles waren, dass es noch
Geschichten hinter den Geschichten gab, die diese erklärten
und vielleicht auch relativierten. Wie konnte sich jemand solche
abgründigen Dinge ausdenken und sie niederschreiben? Was
mochte der Autor sonst noch geschrieben haben?
    Als Arved aufgegessen und sich die fettigen Finger gleich an
mehreren Servietten halbwegs gereinigt hatte, verließ er
tief in Gedanken den Imbiss. Er hatte eine Idee.
    Arved holte das Buch, fuhr damit nach Wittlich und versuchte
es dort zunächst in allen drei Buchhandlungen: bei Stephanus, in der Buchhandlung Rieping und in der Bücherstube neben der Post, aber überall
hörte er nur, dass von einem Autor namens Thomas Carnacki
nichts lieferbar sei. Keiner der Buchhändler kannte diesen
Namen. Der Inhaber der Buchhandlung Rieping war sogar so
freundlich, Arved in seine Datenbanken schauen zu lassen, aber
ein Autor namens Carnacki tauchte nirgendwo auf. Und
selbstverständlich hatte noch keiner der drei
Buchhändler das Schattenbuch je in Händen gehabt.
    Während des Rückwegs zum Parkplatz an der Lieser, wo
Arved seinen Bentley abgestellt hatte, fasste er einen raschen
Entschluss. Warum sollte er nicht mit dem Schattenbuch dorthin
zurückgehen, wo er es erhalten hatte? War Lioba Heiligmann
nicht Buchhändlerin, wenn auch spezialisiert auf alte
Bücher über Hexen, Geister und Magie? Außerdem
besaß sie einen Internetanschluss – Arved hatte sich
zu dieser zweifelhaften technischen Innovation noch nicht
hinreißen lassen – und beherrschte das Einmaleins der
Büchersuche sicherlich im Schlaf. Ohne sich vorher bei ihr
anzumelden, machte er sich auf den Weg nach Trier.

 
3. Kapitel
     
     
    Seit so vielen Jahren beschäftigte sich Lioba Heiligmann
als Antiquarin nun schon mit der Welt des Unbekannten,
Unheimlichen und Düsteren, doch sie hatte noch nie ein
Gespenst gesehen.
    Bis heute.
    Als sie die Tür ihres Hauses öffnete, weil es soeben
geklingelt hatte, wich sie zurück. Da draußen stand
eine Gestalt, die so bleich wie der Tod war und schwarze Ringe
unter den Augen hatte. Und in diesen Augen lag für den
Bruchteil einer Sekunde etwas, das sie nur als unheiliges Feuer
bezeichnen konnte. Das Feuer erlosch, als die Gestalt sie ansah,
und der Schatten über ihr schien sich zu heben. Doch die
Blässe blieb.
    »Was machen Sie denn hier?«, fragte Lioba, nachdem
sie einmal tief durchgeatmet hatte. »Ist denn schon wieder
Mittwoch?« Allmählich kehrte der leise Spott in ihre
Stimme zurück.
    Arved Winter hielt das Buch, das sie ihm gestern geschenkt
hatte, wie einen Panzer vor seine Brust gedrückt. Blonde,
wellige Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht und
verstärkten nur die Blässe seiner Haut. Er sah aus, als
habe er die letzte Nacht gar nicht geschlafen.
    Er zuckte unter ihren Worten zusammen, als hätte sie ihn
gepeitscht. Da tat er ihr wieder Leid. »Kommen Sie doch
herein«, sagte sie und machte eine einladende Handbewegung.
Er drückte sich wortlos an ihr vorbei und begab sich sofort
in seinen angestammten Sessel im Wohnzimmer. Das Buch

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