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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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in sein Studium gestürzt und alle
aufkeimenden Liebesgefühle unterdrückt. Einmal hatte er
sich noch zu einer Mitstudentin hingezogen gefühlt, auch sie
hatte ihm Zeichen gegeben, doch er sperrte sein Herz hinter
Stacheldraht und hohe Mauern. Dort war es lange Zeit vor sich
hingekümmert – bis Lioba in sein Leben getreten war.
Es war ihm gleichgültig, dass er zwar vom Dienst
suspendiert, aber noch nicht laiisiert war und es vermutlich auch
niemals sein würde. Wenn es einen Gott gab – woran
Arved trotz seiner Erlebnisse im Fall Magdalena Meisen noch immer
zweifelte –, dann war es ein Gott der Liebe.
    Er wusste nicht, wie er Lioba seine Gefühle gestehen
sollte. Er fürchtete sich davor, dass sie nicht erwidert
wurden, dass sie ihn auslachen oder ihm gütig über die
ausgedünnten Haare streicheln würde. Er hatte keine
Ahnung, wie er sich von einem solchen Schlag erholen sollte. Also
wollte er zuerst mit ihr über den Spiegel reden. Und dann
über das, was Manfred Schult ihm erzählt hatte. Wenn
sie wirklich so war, wie er behauptete, konnte sich Arved an
Lioba die Finger verbrennen. Dann wäre sie nicht seine
Rettung, sondern sein Untergang. Er brauchte Gewissheit.
    Aber sie war nicht zu Hause.
    Unschlüssig trat er einige Schritte zurück, schaute
nach rechts und nach links und ging schließlich in Richtung
Innenstadt. Als er schon in der Johannisstraße war, kurz
hinter dem Antiquariat Zaunmüller, sah er Lioba. Sie
kam ihm entgegen, mit weit ausholenden Schritten, in einem
grünen Faltenkleid mit rosa Blümchen, das sie bestimmt
aus der Kleiderkammer der Borromäerinnen bekommen hatte. Wie
wundervoll sie in einem Kostüm oder einem modernen Kleid
aussehen würde, dachte Arved. Aber eigentlich wollte er sie
so, wie sie war…
    »Wollten Sie zu mir?«, fragte Lioba, bevor sie ihm
die Hand hinstreckte.
    Arved ergriff sie und drückte sie herzlich. Etwas wie ein
schwacher elektrischer Strom durchpulste ihn.
»Ja…« Das Wort schwebte zwischen ihnen in der
Luft, bis es schließlich leicht wie eine Feder zu Boden
schwebte.
    Lioba deutete auf das Buch unter seinem Arm. »Gehen Sie
inzwischen schon nicht mehr ohne das Schattenbuch auf die
Straße?«, fragte sie und lächelte ihn schelmisch
an.
    Ihr Gesicht war pures Licht. Welche Dunkelheit verbarg es?
Manfreds gehässige Bemerkungen drängten sich wieder in
den Vordergrund. »Es ist… ich war bei…
Manfred Schult.«
    Das Lächeln verschwand so rasch aus Liobas Gesicht, als
ob es ausgeknipst worden wäre. »Warum?«
    »Er hat mich angerufen. Es gibt da einiges, worüber
ich mit Ihnen reden will.«
    »Gut. Gehen wir ins Café.«
    Arved war enttäuscht. Er hätte viel lieber in Liobas
wunderbarem Bücherwohnzimmer gesessen und seine Sorgen mit
ihr besprochen. Ein Café war ein viel zu öffentlicher
Raum dafür. Doch was blieb ihm übrig? Er zuckte die
Achseln und trottete neben Lioba her, die sofort umgedreht hatte.
Sie überquerten die Brückenstraße, betraten die
Fußgängerzone, liefen schweigend nebeneinander her,
bis Lioba zielstrebig das Café Mohr enterte. Anders
konnte Arved ihr zielstrebiges Auftreten nicht beschreiben und
ein kleines Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Das Personal
schien sie zu kennen und nickte ihr freundlich zu. Sie setzten
sich einander gegenüber auf eine der halbrunden, mit hellem
Leder bezogenen Bänke. Lioba bestellte einen Cappuccino und
ein Stück Mokka-Sahne, Arved einen Milchkaffee und eine
Herrentorte. Da Lioba weiterhin schwieg, ließ er kurz die
Blicke schweifen. In angedeuteten Rundbogenfenstern in den
Wänden steckten postmoderne blaue Lampen, ein Mohr hielt auf
einer Balustrade einen Leuchter mit drei Glühbirnen, und im
hinteren Teil des lang gestreckten Raumes hing ein großer
Spiegel mit einem barocken Rahmen. Er sah Lioba und sich darin
und musste an den seltsamen Spiegel in Schults Kammer denken.
    Sie schwiegen, bis das Bestellte kam. Nachdem Lioba einen
ersten Schluck genommen hatte, schien es ihr besser zu gehen.
»Also, was ist los?«, fragte sie und sah Arved scharf
an.
    »Er… er hat einen Spiegel, der vermutlich unserem
pseudonymen Thomas Carnacki gehörte«, begann er und
hielt sich an der Kaffeetasse fest, deren Hitze er kaum
spürte.
    Lioba wurde sichtlich ruhiger, ihr Blick sanfter. »Das
ist ja interessant, aber bestimmt bringt es uns nicht weiter,
oder? Haben Sie den Spiegel untersucht?«
    »Ja. Ich habe nichts gefunden.« Arved

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