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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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weiter, während sie an Arved vorbei in die
Vergangenheit zu blicken schien. »Mein Job im Antiquariat Kornmann war die Rettung für mich. Und als dann noch
Victor in mein Leben trat, sah es eine Zeit lang so aus, als ob
alles wieder ins Lot käme.« Ihre Augen wurden feucht.
»Victor war einer unserer Stammkunden, und ich habe ihm
viele seltene Bücher über Magie und Hexerei beschafft.
Darüber sind wir uns näher gekommen. Es war eine
wunderbare Zeit, auch wenn ich in der ersten Zeit ein Doppelleben
führen musste. Victor war so sanft, so zärtlich,
intelligent und rücksichtsvoll. So ähnlich wie
Sie.« Sie sah ihn immer noch nicht an. Arved lief es kalt
über den Rücken – wohlig kalt. Doch dann wurde
Liobas Blick wieder fest, als habe er etwas eingefangen.
»Manfred hat es dann herausbekommen und wollte die
Scheidung. Ich auch, deshalb ging es schnell. Dann habe ich nur
noch für meine Liebe zu Victor gelebt, auch wenn wir
weiterhin getrennte Wohnungen hatten. Daher habe ich erst zu
spät bemerkt, wie tief er in den okkulten Untergrund
eingetaucht war, von dem Sie ja bei unserem früheren
gemeinsamen Abenteuer auch schon ein Zipfelchen gesehen haben.
Victor hat sich zu weit vorgewagt. Irgendjemand muss ihn bedroht
haben – mit magischen Mitteln. Zauberpuppen,
Verwünschungstexte, Sie wissen schon. Victor war sehr
empfänglich für so etwas. Irgendwann hat er es nicht
mehr ausgehalten, zumal ihm ein paar sehr seltsame Dinge
zugestoßen sind. Er hat sich eines Nachts in der Mosel
ertränkt, nachdem er seine Kleidung ausgezogen und
säuberlich zusammengefaltet auf die Römerbrücke
gelegt hatte, damit sie keinen Schaden nahm.« Sie musste
lächeln, gleichzeitig wurde ihr Blick wieder feucht, und die
Augen röteten sich. »So war er halt.«
    »Weiß man, wer ihn in den Tod getrieben
hat?«
    »Nein. Die Polizei hat die Ermittlungen rasch
eingestellt, da ihrer Meinung nach keine Straftat vorlag.
Rösten sollte man diese Burschen! Danach kam Manfred wieder
angekrochen, weiß der Teufel, woher er es gewusst hat, aber
er war mir inzwischen so zuwider, dass ich ihn sofort
rausgeworfen habe. Bei all meinen Entscheidungen damals hat mir
Jochen Martin geholfen. Ich weiß nicht, ob ich es ohne ihn
überhaupt geschafft hätte. Er war der Einzige, auf den
ich mich immer verlassen konnte. Ich habe das Haus gekauft, in
dem ich jetzt wohne, und meinen eigenen Laden aufgemacht.
Geschieden war ich ja schon. Damals hatte ich mir geschworen,
alle möglichen gefährlichen Bücher aufzukaufen und
dafür zu sorgen, dass sie in die richtigen Hände
geraten.« Sie zog eine Schnute. »Irgendwann war es
mir aber egal. Sie glauben ja nicht, was für abgefahrene
Typen in diesem Gebiet wildern. Und welche Gewinne man machen
kann! Wenigstens spende ich den größten Teil meiner
Einnahmen, soweit ich sie nicht in neue Bücher
stecke.«
    Jetzt hatte sie zu einem anderen Thema gefunden und redete
wieder ohne Punkt und Komma. Arved kam gar nicht dazu, auf seine
Herzensangelegenheiten einzugehen. Lioba schien unendlich froh zu
sein, dass sie das Gespräch in belanglosere Gebiete hatte
lenken können. Arved brachte es nicht über sich, sie zu
unterbrechen. Er hörte ihr zu und versuchte, sie sich
zwanzig oder gar dreißig Jahre jünger vorzustellen.
Wie sie damals auch gewesen sein mochte, nun war sie anders. Er
hätte Manfred Schult erwürgen können. Doch auch er
war offenbar eine tragische Gestalt.
    Als Lioba einiges aus ihrem Bücherleben erzählt
hatte, winkte sie die Kellnerin herbei und zahlte für beide.
Arved bot sich an, sie wenigstens bis zu ihrem Haus zu
begleiten.
    »Ich bin eigentlich noch nicht so gebrechlich, dass ich
den Schutz einer starken Hand benötige«, sagte Lioba.
»Aber wenn Sie wollen…«
    Vor ihrem Haus hielt er ihr das Schattenbuch entgegen.
»Bitte, bitte lesen Sie es.« Sie zuckte davor
zurück wie vor einer Giftschlange. Dann sah sie Arved lange
an und schien in seiner Seele herumzublättern.
Schließlich nahm sie das Buch und durchbohrte ihn mit einem
auffordernden Blick.
    »Ich wollte Ihnen noch… etwas… das ich
nicht… wie soll ich es sagen…«, stotterte
er.
    Sie machte einen Schritt auf ihn zu und küsste ihn
leidenschaftlich. Er erwiderte ihren Kuss, drückte sie an
sich, wie ein Ertrinkender ein Stück Treibholz ergreift, und
spürte die Hitze ihres Körpers ganz nah bei sich. Doch
dazwischen presste sich das Schattenbuch gegen

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