Das Schattenbuch
Suspendierung zuvorgekommen. Von meinem Einkommen konnten wir
prima leben. Aber das war der Frau Lehrerin irgendwann zu
langweilig. Und da hatte sie nichts Besseres zu tun, als sich
einen Liebhaber zu nehmen.« Er sah Arved an. »Nun
wissen Sie, was Ihnen blüht.«
»Gar nichts blüht mir«, gab Arved
zurück. »Wir sind kein Paar.«
»Ach? Noch nicht? Keine Angst, das wird schon. Lioba
nimmt jeden.«
Am liebsten hätte Arved seinem Gegenüber eine
Ohrfeige verpasst. »Wie können Sie so über Ihre
Ex-Frau reden?«, erboste er sich.
Manfred Schult lachte nur. »Ich hätte es wissen
müssen. Sie hat so viele Liebschaften vor mir gehabt. Und
gekifft hat sie auch weiter. Manchmal habe ich es gerochen, wenn
ich von einem Seminar zurückkam. Dieser süßliche
Pflanzengestank – widerlich. Und dann hat sie wieder einen
Job angenommen, angeblich weil sie nicht den ganzen Tag zu Hause
sitzen wollte. Im Haushalt hat sie natürlich absolut nichts
getan.«
Arved kam sich vor, als sei er wieder Priester und lausche der
Beichte eines missratenen Pfarrkindes. Er hatte Erfahrung in
solchen Situationen und übte sich in Geduld. Schult wollte
ihm offenbar sein Herz ausschütten, und wenn er ehrlich zu
sich selbst war, so interessierte ihn jedes Wort, das über
Lioba fiel, brennend.
Schult stand auf und holte sich eine Flasche Bier. Ohne Arved
davon anzubieten, öffnete er sie mit einem Schlüssel
und trank aus der Flasche, bis sie halb leer war. Er stellte sie
auf dem Boden ab und wischte sich mit der Hand über den
weißschaumigen Mund. »Ich habe nichts gegen
Bücher, aber muss man sich mit einem solchen verdummenden
Quatsch wie Esoterik abgeben? Lioba hatte es sich angewöhnt,
regelmäßig durch die Buchhandlungen und Antiquariate
von Trier zu streifen. Damals gab es noch ein großes
Antiquariat in der Simeonstraße, das schon lange nicht mehr
existiert. Dort war man auf Okkulta spezialisiert. Sie hat mit
meinem Geld eine Menge gekauft. Erst war es mir egal. Hauptsache,
sie kifft nicht mehr und bleibt bei mir, habe ich gedacht. Und
dann hat sie in dem Laden eine Stellung angenommen.
Natürlich hat das Antiquariat auch mit anderen Büchern
gehandelt, aber es war berühmt für seinen
Esoterik-Schrott. Sie hat diese Abteilung betreut. Wie sie an den
Job gekommen ist, weiß ich nicht, denn damals hatte sie
noch keine Ahnung von alten Büchern. Ich vermute, sie hat
die Beine breit gemacht.«
Arved stieg die Galle hoch. Sollte er sich diese Beleidigungen
seiner Freundin weiter anhören? Doch ein Wurm begann sich
durch seine Gedanken zu fressen. Er sah Lioba vor sich, wie sie
jetzt war – und er versuchte sich vorzustellen, wie sie vor
zwanzig Jahren ausgesehen haben mochte. Wie sie sich damals gab,
wie sie sich kleidete, wie sie redete. Was war, wenn auch nur ein
Körnchen Wahrheit in Schults gehässigen Worten steckte?
Er stellte fest, dass er es nicht glauben wollte. Er wollte sie
nur so sehen, wie sie jetzt war: zupackend, erfrischend anders,
schön, verlässlich, aufregend. Bevor er sich noch zu
einer Reaktion durchringen konnte, redete Schult weiter.
»Sie hat schnell gelernt. Und viele neue Leute kennen
gelernt. Manchmal habe ich den einen oder anderen zu Gesicht
bekommen, wenn ich bei ihr im Laden war. Seltsame Typen, kann ich
Ihnen sagen. Halt Leute, die sich mit diesen komischen Themen
befassen: Hexenwesen, Magie, Teufelsglaube, Satanismus, Zauberei
und so weiter. Und in einen davon hat sie sich verliebt. Als ob
sie mit mir nicht hätte glücklich sein
können!« Plötzlich sah er furchtbar verzweifelt
aus. Er stellte die Beine nebeneinander, stützte den Kopf
mit den Händen und schaute zu Boden. »Aber dieser Typ
war der Verrückteste von allen. Hat sich tief in die dunklen
Künste verstrickt. Zu tief.« Er schaute wieder auf.
Seine Blicke trafen sich mit denen von Arved, dem es kalt den
Rücken hinunterlief. »Er hat sich
umgebracht.«
»Wie schrecklich«, sagte Arved in aufrichtiger
Teilnahme. »Und dann ist Lioba zu Ihnen
zurückgekehrt?«
»Verdammt, nein!« Schult schlug sich mit der Faust
auf den Schenkel. »Wir waren zwar schon geschieden, als er
starb, aber ich habe natürlich noch einmal einen Versuch
gemacht, als ich von Victors Tod hörte.« Er
schwieg.
»Und?«, fragte Arved.
»Entweder hatte sie schon wieder einen anderen, oder sie
wollte mir eins auswischen. Jedenfalls hat sie mich abblitzen
lassen. Kurz darauf hat sie ihr
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