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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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dessen rechter und linker Wand
Regale verliefen, die mit allerlei Müll vollgestopft waren.
Die ganze Wand gegenüber der Tür nahm ein gewaltiger
Spiegel in einem dünnen Goldrahmen ein, der das Licht der
nackten Glühbirne reflektierte und am facettierten Rand zu
Tausenden von Farbsplittern brach.
    Endlich hatte Schult gefunden, was er gesucht hatte. Es war
ein kleines Messingherz mit dem Bild einer viel jüngeren,
schelmisch in die Kamera blickenden Lioba darin. »Da. Sie
können es haben. Geben Sie es Lioba zurück oder
behalten Sie es oder werfen Sie es weg. Ich will es nicht mehr
haben.«
    Arved nahm es an, fuhr ganz kurz mit den Fingern über die
Fotografie und steckte es in die Hosentasche. Er deutete auf den
Spiegel, der gar nicht zur übrigen Einrichtung passen
wollte. Der aussah, als habe ihn der Vormieter, der diesen Raum
für etwas ganz anders benutzt hatte, hier gelassen.
»Ein schöner Spiegel…«
    Schult sah ihn an und kniff die Augen zusammen. »Ein
Monstrum, wenn Sie mich fragen. Ich wollte ihn schon
abreißen, aber er steckt fest in der Wand. Ist wie mit ihr
verwachsen.«
    »Also hat der Vormieter doch etwas
zurückgelassen.«
    »Ach so, jetzt verstehe ich: Ihr Schriftsteller.
Möglich. Glaube nicht, dass hier jede Wohnung so ein Ding
hat.«
    »Darf ich ihn mir mal ansehen?«, fragte Arved.
    Schult schwankte aus dem Kabuff und deutete mit großer
Geste auf den Spiegel. »Bitte, gern. Wenn es Ihnen
Spaß macht…«
    Arved betrachtete und betastete ihn eingehend. Erst jetzt sah
er, dass in den Rahmen winzige Gesichter eingeschnitzt waren.
Nein, keine Gesichter, sondern Fratzen. Teufelsmasken.
    Der Spiegel schien tatsächlich fest mit der Wand
verbunden zu sein; er war wie eingemauert. Nirgendwo gab es einen
Hohlraum im oder hinter dem Rahmen, wo man etwas hätte
verstecken können. Was hoffe ich hier zu finden?, dachte
Arved. Ist das überhaupt Thomas Carnackis Spiegel? Wenn ja,
hatte er nun – außer dem Buch – zum ersten Mal
etwas berührt, was dem Schriftsteller gehört hatte. Er
kam ihm näher.
    Etwas flackerte in dem Spiegel. Arved trat verwundert einen
Schritt zurück. Er sah sich selbst in abwehrender Haltung,
die Arme leicht vorgestreckt – und daneben noch jemanden.
Zuerst glaubte er, es sei Manfred Schult, doch als er einen Blick
über die Schulter warf, stellte er fest, dass Schult
verschwunden war. Er drehte sich wieder um – und da waren
erneut die beiden Gestalten im Spiegel. Arved konnte sich selbst
deutlich erkennen, die Person daneben war aber kaum mehr als ein
Schatten. Ein Schatten mit langen grauen Haaren, die
herunterhingen, als seien sie tropfnass.

 
12. Kapitel
     
     
    Arved fühlte sich, als tappe er in einem Labyrinth umher,
und hinter jeder neuen Biegung verbarg sich etwas Entsetzliches.
Mit dem Buch unter dem Arm stand er vor Liobas altem Haus in der
Krahnenstraße und schaute an der Fassade hoch. Die beiden
Sprossenfenster neben der Tür des Giebelhauses waren
gesprenkelt von Regen und Staub, die beiden Fenster im ersten
Stock starrten schwarz auf die Straße, und das winzige
Bodenfenster darüber war wie das Auge eines Zyklopen. Der
Efeu wirkte welk; das Haus machte einen unbewohnten Eindruck. So
hatte Arved es noch nie wahrgenommen.
    Lioba schien nicht da zu sein. Arved biss sich auf die Lippe.
Es gab so vieles, worüber er mit ihr sprechen wollte:
über das Buch, den Spiegel, die Phantome, ihre
Vergangenheit…
    Vor allem über ihre Vergangenheit.
    Er glaubte nicht, was ihr Ex-Mann über sie erzählt
hatte. Er wollte es nicht glauben. Denn er hatte sich in diese
seltsame, burschikose, Zigarillo rauchende, Bergsteigerschuhe
tragende ältere Frau mit ihren geblümten Kleidern und
ihrer unverblümten Rede verliebt. Das wusste er seit seinem
Besuch in Schults Müllwohnung. Lioba war der Halt, den sein
Leben brauchte. Sie war das Licht, das es benötigte. Und sie
war die Schönheit, die es bestrahlte und
beflügelte.
    Er hatte schon einmal geliebt, doch es war lange her, in der
untergegangenen Jugend. Es war ein Rausch gewesen, ein
Gefühl von Zartheit und Stärke, von Wollust und
Vergehen, von Traum und Erfüllung. Doch er hatte geglaubt,
seine Berufung sei stärker. Also hatte er sich nach einigen
Monaten des Tanzes in den Sternen von Alexandra getrennt. Sie
hatten beide gewusst, dass es nicht für immer sein konnte,
aber in ihm war eine entsetzliche Leere zurückgeblieben.
Danach hatte er sich

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