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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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reden Sie?«
    »Von denen, die mich hergebracht haben. Sie wollen, dass
ich büße.«
    Sein Blick war irr. Arved begriff, dass er kein
vernünftiges Wort aus diesem Mann herausbekommen würde.
Immerhin schien er nun doch Vertrauen zu Arved geschöpft zu
haben, denn er kämpfte sich auf die Beine. Die beiden
Männer standen sich abwartend gegenüber. Schult
zeichnete sich scharf gegen die weißen Kacheln ab, mit
denen der Boden und die Wände bis zu halber Höhe
ausgelegt waren. Er wirkte wie ein Fremdkörper in diesem
Raum. Arved nickte ihm aufmunternd zu. Schult erwiderte sein
Nicken, und gemeinsam verließen sie das Bad.
    Durch die Wohnungstür traten sie auf den Flur. Und
blieben stehen. Weiße Wände, grauer Boden,
unberührt. Dies war nicht das Haus, in dem Schult lebte. Es
war viel größer. Und dann das Schweigen! Die Stille
war dicht wie ein gesenkter Vorhang.
    Arved drückte die Klinke der Tür zur Nachbarwohnung
herunter. Sie war nicht verschlossen. Und es war nicht Schults
Wohnung. Doch sie unterschied sich in nichts von den
Räumlichkeiten, die sie soeben verlassen hatten. Weiß
und grau, alles unberührt. Und menschenleer. Wo mochten
»die« sein, von denen Schult vorhin geredet hatte?
Arved vermutete, dass es sich nur um Geschöpfe aus Schults
Einbildung handelte. Aber wo befand er sich? Waren sie wirklich
durch den Spiegel gegangen? Durch den Spiegel in dem Buch?
Vorsicht, dachte Arved, werde bloß nicht genauso
verrückt wie dieser Schult.
    Liobas Ex-Mann lief mit hängenden Schultern und leerem
Blick neben Arved durch die Nachbarwohnung. Als sie das Bad
betraten, befürchtete Arved eine Sekunde lang, sie
würden auch hier neben der Toilette eine kauernde Gestalt
vorfinden, aber der Raum war genauso menschenleer wie die
anderen.
    »Ein Mörder, wissen Sie?«
    Arved hielt inne. Es waren Schults Worte gewesen, der
ebenfalls stehen geblieben war und ihn angrinste.
    »Was haben Sie gesagt?«, fragte Arved.
    »Ein Mörder. Derjenige ist der Mörder, den man
am wenigsten verdächtigt. Und wer ist unverdächtiger
als der ermittelnde Kommissar?« Schult kicherte und hockte
sich auf den Boden, als habe er in den weißen Kacheln eine
Spur gefunden.
    Arved sah auf ihn herunter. Schult spielte auf die dritte
Geschichte des Schattenbuches an. Der Serienmörder, den der
Kommissar suchte und dem er eine Falle stellte, war er selbst,
und er kam in dieser Falle um. Was aber hatte das mit der
augenblicklichen Situation zu tun?
    »Warum erzählen Sie mir das?«, fragte Arved
verständnislos.
    Schult sah zu ihm auf wie ein Spurensucher, der eine
Fährte gefunden hat. »Begreifen Sie das denn
nicht?«, fragte er und blinzelte Arved zu.
    Dieser schüttelte den Kopf.
    »Sie behaupten, ich sei der Mörder. Aber das
begreife ich nicht, verstehen Sie? Wenn ich es begreife, ist es
zu spät. So wie es für den Kommissar zu spät war,
als er es begriffen hatte. Die Maske zog sich zusammen. Und die
Maske vor meinem Gesicht zieht sich auch zusammen.« Er
schnitt eine Grimasse, von einer Maske vor seinem Gesicht war
nichts zu sehen.
    Armer Kerl, dachte Arved. Da erstarrte Schult plötzlich.
Kurz darauf hob er die Nase und schnupperte wie ein Hund.
»Sie kommen zurück«, sagte er, und sein Blick
wurde wieder gehetzt. »Verstecken Sie mich!« Er
sprang auf und verkrallte sich in Arved.
    Nun hörte Arved leise Schritte und er bemerkte
Brandgeruch. Er spürte, wie sich ihm die Nackenhaare
sträubten. Er machte sich von dem verzweifelten Schult los
und schaute durch die Badezimmertür. »Hier ist
niemand«, sagte er.
    Die Schritte waren erstorben, aber der Brandgeruch war noch
da.
    »Sehen Sie überall nach!«, bettelte Schult
und kauerte sich neben der Toilette zusammen, so wie Arved ihn
vorhin in der anderen Wohnung gefunden hatte. Arved lief durch
alle Zimmer, die ein leiser, aber stechender Gestank nach
Versengtem durchwehte, und als er zurück zum Badezimmer kam,
fand er die Tür verschlossen vor. Er rüttelte an der
Klinke; es half nichts. Von jenseits der Tür hörte er
leise Geräusche, es war ein böses, vielstimmiges
Flüstern, dazwischen die unterdrückte Stimme Manfred
Schults.
    Dann kamen die Schreie.
    Arved hielt sich die Ohren zu und rannte weg. Er handelte
nicht mehr bewusst, sondern folgte nur noch seinem
Fluchtinstinkt. Erst im Treppenhaus hielt er inne. Durch die
großen Fenster konnte er nach draußen sehen, in eine
fremde, nie geschaute

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