Das Schattenbuch
stand auf
dem Zettel?«, fragte Lioba, während sie nach dem
Sicherheitsgurt griff.
Arved hatte ganz vergessen, dass nur er den Zettel gelesen
hatte. »Manderscheid«, sagte er.
»Oberburg.«
Lioba zog ungläubig die Stirn kraus. »Dort werden
wir wohl kaum einen rätselhaften, durchgeknallten
Schriftsteller finden – oder hinter wem sonst wir her sein
mögen.«
Arved zuckte die Achseln. »Sauer wird sich schon etwas
dabei gedacht haben, als letzte Botschaft diese beiden Worte
aufzuschreiben.«
»Warum hat er dir den Zettel geben
lassen?«, wunderte sich Lioba, während sie den Wagen
startete.
»Vielleicht weil ich in der Nähe wohne und den Weg
kenne«, mutmaßte Arved und legte den Sicherheitsgurt
an. »Warum hätte er ihn dir zukommen lassen
sollen? Weil ihr mehr als nur befreundet wart?« Er schaute
sie scharf an.
Lioba runzelte die Stirn. Blickpfeile schossen aus ihren
Augen. »Ich war nicht einmal mit ihm befreundet. Was er
sich in seinen einsamen Stunden eingeredet hat, ist nicht meine
Sache.« Mit einem heftigen Satz sprang der Wagen von der
Ausfahrt auf die Straße. »Rede nie wieder so einen
Unsinn!«
Arved wusste nicht, ob er lächeln oder wütend sein
sollte. Er entschied sich, einfach aus dem Seitenfenster zu
schauen.
Als sie sich auf der Autobahn befanden, fragte Lioba:
»Hast du ihn wirklich gesehen? Sauer, meine ich. In dem
Spiegel.«
Arved nickte gedankenverloren. »Du nicht?«
»Nein. Weißt du, eine Zeitlang hatte ich geglaubt,
die erste Geschichte sei auf mich gemünzt, vor allem da sich
Sauer nun umgebracht hat. Aber nicht ich sehe seinen Geist,
sondern du. Es muss also etwas mit dir zu tun haben. Was ist mit
dir los?«
»Wie meinst du das?«, fragte Arved zurück und
schaute aus dem Fenster. Weinberge flogen vorbei, wurden von
Feldern abgelöst, die Landschaft wurde rauer, felsiger,
bewaldeter. Die Eifel nahm die beiden auf.
»Wenn an dieser ganzen Sache wirklich etwas dran ist und
die dritte Geschichte für Manfred war, dann dachte ich
eigentlich, die erste sei für mich. Aber das stimmt wohl
nicht. Was ist dein Gespenst, Arved?«
Arved sah sie von der Seite an. Falten hatten sich um ihren
Mund gelegt; sie hatte die dezent geschminkten Lippen
zusammengepresst und schaute starr auf die Straße.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Arved und
dachte dabei verzweifelt nach. Wo gab es ein Gespenst in seinem
Leben? Wieso Sauer? Was hatte das Phantom mit dem Schleier aus
Haaren zu bedeuten? Es erinnerte ihn an etwas… an
jemanden… »Ich weiß es nicht«,
wiederholte er. »Kannst du bitte bei Wittlich abfahren?
Diese Autobahn macht mich nervös.«
»Warum?«, wollte Lioba wissen, ohne den Blick von
der Straße abzuwenden.
Die Antwort gab ein kurz vor dem Renault auf die
Überholspur ausscherender LKW. Lioba bremste, der Wagen
schlingerte, sie fing ihn gekonnt ab, keuchte aber entsetzt auf.
Sie hupte, doch der LKW ging nicht zurück auf die rechte,
vollkommen freie Spur. Es war nicht zu sehen, dass er
überholte. Als Lioba nach rechts zog, tat es auch der LKW.
Arved bemerkte, dass er keine Kennzeichen hatte. Schwarzer Qualm
drang aus seinem Auspuff. Es war ein Wagen mit Hänger und
unbedruckten, von Wind und Regen ausgewaschenen Planen. Zum
Glück kam kurz darauf die Abfahrt Wittlich. Lioba gab auf
der Ausfahrt Gas, setzte sich neben den LKW und hupte wild. Der
Fahrer war nicht zu sehen. Die Scheiben waren so fleckig, dass
man kaum hindurchschauen konnte.
Am Ende der Ausfahrt bog Lioba in Richtung Wittlich-Zentrum
ab. »Hast du das vorhergesehen?«, fragte sie
zweifelnd.
»Keine Ahnung«, meinte Arved und kaute auf seiner
Unterlippe herum. »Ich hatte bloß ein ungutes
Gefühl.«
Plötzlich gab Lioba unvermittelt Gas. »Das habe ich
jetzt auch«, sagte sie und spähte angestrengt in den
Rückspiegel.
Arved drehte sich um. Der unheimliche Lastwagen war direkt
hinter ihnen!
Lioba fuhr mit viel mehr als der erlaubten
Höchstgeschwindigkeit. Links von ihnen flogen das Kreishaus
und das Cusanus-Gymnasium vorbei, rechts verwirrende Fassaden,
ein Billard-Café, ein Autohaus, ein Restaurant. Eine Ampel
schaltete auf Rot. Lioba fuhr durch. Arved drehte sich wieder um.
Der LKW hatte ebenfalls nicht gehalten. Vorhin auf der Autobahn
war er so langsam gewesen, doch jetzt sah es so aus, als jage er
sie. Er kam immer näher.
Die Straße führte in einer langen Linkskurve
abwärts und unter einer Brücke hindurch. Mit einem
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