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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
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beruhigen. Doch selbst wenn ich morgens in der Sonne saß und im Kopf eine Liste meiner Aufgaben erstellte – die Böden schrubben, Zitronen pflücken, Gelee kochen, eine Dessertcreme aufschlagen, das Gemach meiner Herrin säubern, die Jungenten braten, die Pfannen scheuern – konnte ich doch nicht aufhören, über mein Elend nachzugrübeln, das immer wieder hochkochte wie saure Milch.
    Ich hielt den Erpel über den Holzeimer und begann, ihn zu zerlegen. Davon wurde mir regelmäßig schlecht. Erst zog ich die Haut von dem Kadaver, die sich wie dicke, biegsame Seide anfühlte. Dann drehte ich dem Vogel mit einem Knacken den Kopf ab. Zum Schluss schleuderte ich den Leib in den Eimer, was sofort einen Schwarm fetter Fliegen anlockte.
    Was sollte ich nur machen? Was tun, wenn ich gezwungen war zu gehen und Renzo nie wiedersehen durfte? Ein schmerzlicher Laut entrang sich mir, als ich mir vorstellte, wie allein ich ohne ihn auf der Welt wäre. Konnte ich das ertragen? Ich nahm die zweite Ente, die mit ihrem langen Hals über dem Zaun hing. Der Erpel war eine pfauenbunte Schönheit gewesen, aber seine kleine Freundin war stumpf und braun. Es war albern, aber ich streichelte ihr Gefieder und genoss, wie weich es sich anfühlte. Dann zog ich an ihrem Hals, bis er sich löste und wie ein Fetzen in meiner Hand lag. Ich unterdrückte ein Schluchzen. Warum durfte ich nicht lieben? Ich hatte schon einmal gedacht, ich würde Jem lieben, und dann war ich von ihm fortgerissen worden. Jetzt hatte ich einen Mann gefunden, der es wert war, der mich aufrichtig liebte und in jeder Hinsicht meine Meinung teilte. Außerdem war er ein Mann, dessen Kochkunst zum Besten gehörte, was ich bisher kennengelernt hatte. Ich konnte es nicht ertragen, ihn zu verlassen.
    Ich schlitzte die tote Ente auf und entnahm ihre gewundenen Gedärme. Dann suchte ich nach ihrem Herz, das in der winzigen Höhle ihres Brustkorbs ruhte. Da war es, nur ein Klumpen totes Fleisch. Mit klebrigen Fingern hob ich das vom Geschoss zerrissene Herz und spürte, wie mein Gesicht von Tränen überströmt wurde. So erging es auch meinem Herzen. Ich liebte Renzo so sehr, dass der Schmerz, ihn zu verlieren, mich für immer brechen würde. Ich wollte mein Elend zum Himmel schreien, doch fürchtete ich, man könnte mich belauschen. Wieder verdammte ich mein Dasein als Dienerin, weil ich auf ewig gehorsam sein musste. Ich wollte jemanden schlagen, mit aller Kraft, oder meine Faust an einer Wand zerschmettern. Stattdessen wusch ich mir die Hände und machte mich schlecht gelaunt auf, Zitronen zu pflücken.
    Zuerst nahm ich Mr. Lovedays Weg, denn ich wusste, dass er manchmal zum Fluss ging und dort die eine oder andere Forelle fing. Ich kämpfte mich durch ein Gebüsch und verfluchte die Dornen, die sich in meiner Kappe und meinem Kleid verfingen. Nachdem ich den kleinen, düsteren Friedhof hinter mir gelassen hatte, konnte ich sie schon riechen: dicke, reife Zitronen. Ich erhielt reiche Ernte. Vielleicht war es der Anblick dieser üppigen Früchte, dass ich mich fragte, ob ich zu streng mit dem alten Pars gewesen war. Ich dachte sogar darüber nach, ein Rezept für eingelegte Zitronen im
Schatzbuch der Köchin
zu suchen. Ich dachte an all die Schelte, die ich hatte einstecken müssen. Er war nun mal ein meckernder Geizkragen, rief ich mir in Erinnerung, aber vielleicht hatte er doch das Herz am rechten Fleck. Ich legte die gepflückten Zitronen in meine Schürze und entschied, es sei jetzt an der Zeit, mit meinem alten Mawtoner Steward Frieden zu schließen.
    Ehe ich die Jungenten übers Feuer hängte, klopfte ich daher leise an die Tür seiner Kammer und rief seinen Namen. Ich glaubte, seine Stimme zu hören, aber als ich die Tür öffnete, überraschte ich ihn am Schreibtisch. Die Fensterläden waren verschlossen, und die Luft im Raum roch muffig und faulig.
    «Was willst du?» Geheimnistuerisch legte er den Arm über seine Kritzeleien, und ich wäre am liebsten sofort wieder gegangen. Ich hatte ganz beiläufig mit ihm plaudern wollen, aber seine Reaktion ließ mich verstummen. Darum knickste ich nur und fragte: «Kann Mr. Loveday Euch was mitbringen, wenn er in die Stadt geht, Sir?»
    «Mir? Lass mal überlegen.» Er lehnte sich zurück und streckte die Arme aus. Mir fiel auf, wie schmuddelig und fleckig seine Kleidung war, die er seit Paris trug.
    Im nächsten Moment musterte er mich wieder akribisch. «Du bist nicht hinterm Geld her, oder?», knurrte er

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