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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
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anschaute. Groß und aufrecht, mit kastanienbraunem Haar, das unter der Küchenhaube hervorlugte. Ein blasses Gesicht mit geröteten Wangen wie Pippinäpfel kurz nach der Ernte. Ein lebhaftes Staunen glomm in den Augen, die die Farbe von grünem Edelpflaumenwein hatten. Und das Kleid – also, das passte mir besser als so mancher Händlersfrau, die in Spitze die Chester Row entlangflanierte. Ich starrte eine hübsche Fremde an, die aufrecht, elegant und für jedermanns Auge ein angenehmer Anblick war.
    «Wird das je heilen?» Lady Carinna stand mit gerunzelter Stirn neben mir. Ich folgte ihrem Blick und hob die Unterarme. Die Ärmelrüschen rutschten hoch. Streifen gerunzelter Haut verliefen von den Fingerspitzen bis zum Ellbogen. Manche waren alte, silbrig verblasste Narben, andere waren neu und krebsrot.
    «Niemals», antwortete ich. «Nicht, solange ich koche.»
    Sie stand neben mir, und ich sah sie im Spiegel. Einen Moment lang musterte jede das Spiegelbild der anderen. Ich war mir irgendwie bewusst, dass meine Herrin mich beobachtete, aber mein Anblick war zu schön, um ihr Beachtung zu schenken. Mit roten Rosen im Haar wäre ich die prächtigste Braut, die unser Dorf gesehen hätte. Also, Jem würde ich auch noch einen schönen Mantel aus altem Brokat machen, passend zum Kleid. Dann wären wir das hübscheste Paar, das in Mawton je geheiratet hätte. Danach würde ich das Kleid natürlich verkaufen; das brachte bestimmt ganze fünf Pfund ein, wenn ich es bei einem Händler für gebrauchte Kleider anbot.
    «Nimm es», erklärte sie plötzlich.
    Ich konnte nicht anders und drehte mich vor dem Spiegel, weil ich sehen wollte, wie der Stoff elegant wie ein plissierter Mantel vom Hals bis zum Saum fiel. «Danke, Mistress», schnatterte ich. «Dass ich’s anprobieren durfte, meine ich. Aber behalten kann ich’s nicht. Das ist zu schön für mich.»
    Ihre Augen verengten sich. «Sei doch kein Dummkopf, Mädchen.» Sie wandte sich ab. «Ich könnte es zukünftig nicht mehr tragen, weil du es angefasst hast. Ich werde mir etwas überlegen, wie du mir das vergelten kannst. Geh jetzt. Nimm’s mit. Ich habe einen Brief zu schreiben.»
    Ich schlüpfte aus dem Kleid, und sie kehrte an den Schreibtisch zurück. Mein Verstand war benebelt. Das Kleid sollte wirklich mir gehören! Mein altes Kleid pikste wie wollene Dornen, als ich wieder hineinschlüpfte. Ich nahm das rosarote Kleid, raffte es zu einem bauschigen Bündel, das so schwer wie ein Kind in meinen Armen lag.
    «Danke, Melady», wiederholte ich, und vor Dankbarkeit hatte ich einen Frosch im Hals. Sie bedeutete mir, endlich zu verschwinden, ohne dabei den Kopf von ihren Papieren abzuwenden, so schnell kritzelte sie. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie durch das inspiriert worden war, was sie soeben im Spiegel gesehen hatte. Während ich nur mit weit aufgerissenen Augen auf das Spiegelbild gestarrt hatte und sah, wie Jem und ich uns an der Kirchentür im feinsten Zwirn küssten, hatte meine Herrin eine ganz andere Zukunft für ihre erbärmliche und dankbare Hilfsköchin gesehen.
     
    Man erzählt sich, dass in der Nacht von Allerheiligen die toten Seelen über die Erde wandeln und das Unglück in die Welt hinaustragen. Dass in dieser Nacht Geister freigelassen werden, die uns grausame Streiche spielen. Böse Omen tauchen in Spiegeln auf, und in den Tümpeln kann man im Mondenschein Mitteilungen entdecken. Aber in jener Nacht überbrachte mir niemand eine geheimnisvolle Botschaft. Was jedoch das Unheil betraf, Himmel!, da drohte mir so einiges.
    Der Saal für die Dienstboten war mit so vielen Feiernden gefüllt, dass wir mit dem Essen kaum von da nach dort kamen. Eine Fiedel und eine Pfeife kreischten ihre Lieder, und der alte Ned trällerte dazu und hob ausgelassen den Humpen. Das Jungvolk feuerte ihn an und tanzte zur Musik. Mitten unter ihnen gackerte Teg und ließ ihre Brüste hüpfen. Ich sah nur aus dem Augenwinkel zu, denn mein neues Kleid brannte wie ein Strohfeuer in meinem Hirn. Rechtlich gesehen gehörte alles, was meine Herrin ablegte, Jesmire. Ich hatte nur Lady Carinnas Wort, dass das Kleid auf ehrliche Weise in meinen Besitz gelangt war. Wenn jemand es fand, und sie widersprach sich selbst, könnte man mich wegen Diebstahls hängen.
    Unser Verwalter Mr. Pars tauchte auf. Die Menge machte Platz für ihn, und die Leute tippten sich an die Kappen, obwohl er ihnen gar keine Beachtung schenkte. Er stand für sich und aß Wildpastete mit Gürkchen

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