Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
wahrzunehmen. Es war Mr. Pars.
«Mylady», rief er, als ich mich umdrehte. Ich knickste und erklärte ihm sogleich, meine Herrin habe mir gesagt, ich solle hochkommen und mein Gesicht klären. «Na schön, Biddy. Das wäre wohl alles», erwiderte er darauf, was für den alten Griesgram schon fast freundlich war. Ich lief in meine eigene Kammer unterm Dach und verbrachte eine Weile meiner Zeit damit, mein Gesicht mit dem Wässerchen zu pflegen.
Ich dachte nicht mehr an das Sassafras-Öl, bis ich am folgenden Abend auf meiner Pritsche lag und im
Schatzbuch der Köchin
las. Ich folgte der alten Handschrift mit der Fingerkuppe. Und da stand es, inmitten einer Auflistung der Heilmittel für schreckliche Seuchen:
Sassafras-Öl
. Ich gähnte, las aber weiter und versuchte zu erraten, was Lady Carinna wohl mit diesem Zeug vorhatte. Fünf bis zehn Tropfen auf einem Löffel Zucker, um Pocken und Tripper zu heilen. Bestimmt nicht, denn ich hätte es gemerkt, wenn sie Geschwüre entwickelt hätte. Wurde mit Erfolg bei Zysten und Rheuma angewendet, stand da weiter, zudem im Wochenbett und bei menstruellen Beschwerden. Nichts davon war sehr wahrscheinlich, und dafür, dass sie kürzlich im Wochenbett gelegen haben könnte, fehlten ihr jegliche Anzeichen für Milcheinschuss. Dann las ich die letzte Zeile.
Ein Teelöffel von dem Öl ruft bei einem jungen Mann Erbrechen und Stumpfsinn hervor, ehe es zum Zusammenbruch führt.
Ich klappte das Buch zu. Sie hatte also die Mittel, ihren Mann niederzustrecken, wenn sie wollte. Vielleicht war ihre Leichtfertigkeit ja nur gespielt? Wir wussten schließlich alle, dass sie fröhlich Sir Geoffreys Geld verprasste, ohne sich einen Deut darum zu scheren, wo es herkam. War es möglich, dass sie dem alten Mann einen Teelöffel voll Öl in den Wein gemischt hatte?
Am nächsten Morgen beobachtete ich meine Herrin scharf, während sie neben Jesmire döste. Im Licht des neuen Tages konnte ich kaum glauben, dass sie meinen Herrn vergiftet hatte. Sie war jung und eigensinnig, aber das war wohl kaum ein Verbrechen. Ein fehlerfreies Leben ist nicht lebenswert, das war meine Meinung. Außerdem war sie sehr großzügig, wenngleich ich mich wegen des rosenroten Kleides manchmal nicht ganz wohl fühlte. Jung und eigensinnig und seltsam. Nun, damit waren wir schon zwei unter diesen heuchlerischen Knackern. Doch sie war auch nicht wie die Edelleute, die wir in den Gasthäusern beobachteten, denn sie war verwahrlost und bisweilen übellaunig. Wenn sie ihr vornehmes Gebaren ablegte, glaubte ich, darunter ein recht schlichtes Mädchen zu erkennen, das wohl ausgezogen war, um sein Glück zu machen. Böse war sie allerdings nicht, fand ich.
Plötzlich riss sie die Augen so abrupt auf, dass ich mich rasch abwandte und aus dem Fenster starrte.
«Träumst du von zu Hause?», fragte sie.
Ich nickte, denn das schien mir noch das Sicherste.
«Mein wahres Zuhause liegt in weiter Ferne», seufzte sie und richtete sich auf. «Ein wunderschöner Ort in Irland, wo ich geboren wurde. Aber als ich vier war, starb meine Mutter. Ich erinnere mich an sie – eine zarte Dame, die stets weiße Kleider trug und auf einem Himmelbett lag. Mein geliebter Vater starb ein Jahr später am Suff beim Pferderennen in Crumlin.»
Ich hielt meinen Mund, wenngleich ich mich fragte, warum um alles in der Welt sie mir das überhaupt erzählte.
Dann schob sie sich auf einmal auf dem Sitz nach vorn und taxierte mich, als wollte sie mich bei lebendigem Leib verspeisen. «Hast du ein gutes Gedächtnis, Mädel? Kannst du wiederholen, was ich dir gerade erzählt habe? Das ist ein Spiel, das ich gern mit dir spielen möchte.»
Was sollte das denn für ein Spiel sein? Um ihr zu gefallen, spielte ich mit. «Ihr wurdet in Irland geboren. Eure werte Frau Mutter ist tot, und das ist schon irgendwie eine traurige Geschichte, sie starb nämlich, als Ihr erst vier wart. Sie war eine Schönheit, aber sehr zart.»
«Und mein Vater?», fragte sie begierig, als wüsste sie es nicht selbst am besten.
«Also, der hat sich totgesoffen beim Pferderennen in Crumlin.»
In diesem Moment begann Jesmire sich zu regen und fuhr mit der Hand über den sabbernden Mund.
«Sehr gut», sagte meine Herrin wie zu sich selbst und lehnte sich zurück. Sie spielte mit Bengo, und die beiden Frauen begannen zu plaudern. Ich ließ mich derweil zu Träumereien über Jem hinreißen.
Ich roch London, ehe ich es sah. Die Stadt kam uns wie eine Dunstschwade entgegen: Der
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