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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
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Gestank von Fäkalien und Kohlerauch hing in der Luft. Als wir uns näherten, erklommen wir einen Hügel und blieben auf der Spitze stehen. Ich sprang von der Kutsche und nahm diesen Anblick in mich auf, um ihn nie wieder zu vergessen. Vor uns lag Englands große Hauptstadt, die sich ausbreitete wie hundert Städte, welche man von einem Horizont zum anderen zusammengeheftet hatte. Überall ragten Kirchtürme in den rauchverschleierten Himmel. Dies hier ist unsere Hauptstadt, sagte ich mir immer wieder. Hier wohnen die besseren Leute und Britanniens König George und Königin Charlotte. Ich glaubte damals, nie etwas Prächtigeres zu sehen – weder in Frankreich noch in Italien oder irgendwo sonst auf der Welt.
    Auf der Straße nach London ging es nur langsam voran, weil sich hier Karren, Wagen, Kutschen und Pferde drängten. Über uns hingen Hunderte Schilder von den Gebäuden:
Hier gibt’s ausländischen Likör
oder
Teehändler & Krämer
oder
Ölhändler, italienische Handelswaren und Eingelegtes
. Kaffeehäuser, Gasthöfe, Läden – überall verhießen Schilder die unterschiedlichsten Genüsse. Der alte George musste ein Wunder vollbringen, um unsere Kutsche zwischen den hochbeladenen Wagen und Straßenkarren hindurchzumanövrieren, die die enge Straße säumten. Endlich erreichten wir eine breite Straße namens The Strand und sahen Buchläden, Krämer, Kartenmacher, Schneider und jede Art von Händler, die man sich nur denken konnte. Sie stellten ihre Waren hinter Glasfenstern aus, als seien es Schatztruhen.
    Das Haus von Lady Carinnas Onkel war am Devereaux Court, und es war längst nicht so groß wie Mawton. Nur ein Stadthaus, in dem sich die Räume in sechs hohe Stockwerke drängten. Ich wurde von Mr. Pars in die Küche beordert. Es tat mir leid, Mr. Loveday mit Ihrer Ladyschaft nach oben gehen zu sehen.
    Der Mief von altem Fett und verstopfter Kanalisation stieg die Treppe hinauf und verriet mir schon alles, was ich über die Küche wissen musste. Als Mann von Welt hatte Mr. Tyrone natürlich einen Koch, weshalb es mir eine gewisse Befriedigung verschaffte, ihn dafür leiden zu sehen. Mr. Meeks war ein müßiger, betrügerischer Fettwanst, der sich von seinem Herrn nahm, was er kriegen konnte. Sobald Mr. Tyrone eine Einladung gab, füllte sich die Küche mit Körben und Paketen voller bester Speisen von Pastetenbäckern und Gasthäusern. Alles, was er tat, war, das Essen mit seinen schwarzen Fingern auf Mr. Tyrones Tellern anzurichten, als habe er das alles selbst gekocht. Und das Silber, das der Schuft dafür bekam, war bezeichnend für diesen Ort. Doch wenn Meeks schon nicht kochte, konnte ich wenigstens von seinen Lieferanten etwas lernen. Eines Abends sah ich einen riesigen durchsichtigen Pudding, der mit Spielkarten aus fester Süßspeise angerichtet war. Ein wirklich bezauberndes Meisterwerk. Der Junge, der den Pudding brachte, erzählte mir auch, wie er hergestellt wurde, und so kam ich zu meinem ersten Londoner Rezept. Meeks hörte unser Gespräch mit und kam herübergewatschelt, um die hübsch bemalten Spielkarten zu bewundern.
    «Also, ich hab so ein Zuckerwerk nicht mehr gesehen seit jenem Spielabend, den wir für den Säufer Sir Geoffrey ausgerichtet haben», grölte Meeks. Er lachte, als ich beim Namen meines Herrn herumfuhr. «Wir haben oben den Salon wie einen richtigen Club eingerichtet», spottete er. «Der alte Mann ist auf den Trick reingefallen wie ein toter Vogel, der vom Baum fällt. Die Geschichte hast du bestimmt schon gehört, kleine Biddy? Wie dein Herr sich Miss Carinna angelacht hat?»
    Ich würdigte ihn keiner Antwort. Doch die Vorstellung, wie mein alter Dienstherr in dieser Räuberhöhle ausgenommen wurde, beschämte mich zutiefst, ohne zu wissen, warum das so war.
     
    Wenigstens schaute eines Abends Mr. Loveday durch die Tür der Spülküche, wo ich gerade einen Stapel Teller wusch, der eher einem Berg glich. «Wie ist, Miss Biddy?», fragte er.
    Ich wischte mir die Finger an der Schürze trocken und nahm seine Hand. Ich freute mich, ihn zu sehen.
    «Ich bin bereit, endlich weiterzuziehen, Mr. Loveday. Worauf zum Himmel warten wir hier schon seit Tagen? Ich dachte, wir müssten in Dover ein Schiff erwischen.»
    Mein Freund schloss behutsam die Tür hinter sich. «Zuhören, morgen gehen hier alle zu königlicher Parade. Ich gehe zu Läden. Du kommst mit mir, nein?»
    Ich hätte ihn küssen mögen, weil er an mich gedacht hatte. Und obwohl es schon fast Mitternacht

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