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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
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allein wusste, dass es einen Moment der Versuchung gegeben hatte, als ich dem hübschen Bruder meiner Herrin am liebsten die Kleider vom lilienweißen Körper gerissen hätte.
    Wir waren auf dem Rückweg in der Mietkutsche allein, und in der schaukelnden Dunkelheit war er eingeschlafen. Die Wimpern glichen dunklen Federn, und seine Lippen waren einen Spalt geöffnet und feucht. Als ich mich über seinen besinnungslosen Körper beugte, roch ich den Alkohol und die Pomade, und der Duft vermischte sich mit dem würzigen Geruch seiner Männlichkeit. Seine Lippen waren voll und entspannt, und als ich meinen Mund auf seinen legte, schmeckte ich Brandy und Babyhaut. Für einen furchtbaren Moment schreckte er hoch und erwiderte meinen Kuss mit gieriger Leidenschaft. Entsetzt wich ich zurück und war froh, als er wieder einschlief. Oh, an diesen Kuss dachte ich oft zurück. Das war der süßeste Leckerbissen, den ich je hatte kosten dürfen.
    «Träumst du schon wieder?» Die Stimme meiner Herrin ließ mich zusammenzucken.
    «Non, non, ma maîtresse»
, sagte ich rasch, denn sie fand es weniger abstoßend, wenn ich französisch mit ihr sprach anstatt mit meinem nordenglischen Akzent. Außerdem machte es Jesmire ganz rappelig, wenn ich in das Kauderwelsch verfiel.
    «
Bon
, Biddy. Gut gemacht. Und auf Italienisch?» Das war ihre neuste Grille. Jetzt sollte ich auch noch Italienisch lernen, und sogar ich verstand, dass diese Sprache der französischen nicht unähnlich war.
    «No, no, Signora»
, sagte ich brav. Sie warf mir einen stolzen Blick zu und sagte: «Trotzdem bist du noch nicht mit guten Manieren vertraut. Komm, wir tun so, als würdest du einen Gentleman besuchen. Was würdest du sagen?»
    Herr im Himmel, hatte sie das mit Mr. Kitt und mir herausgefunden? Ich blickte in ihr gepudertes Gesicht, das müde und geschwollen wirkte. Sie sah irgendwie klobig aus, und darüber konnten auch die Seidenstoffe und Reifröcke nicht hinwegtäuschen.
    «Das würde ich mir nie anmaßen, Melady», plapperte ich.
    «In drei Teufels Namen, Biddy. Du sollst doch nur so tun», murrte sie. «Hast du denn keine Phantasie? Bist du so eine schlichte Dienerin, die nur Töpfe und Pfannen im Kopf hat?»
    «Nein, so ist es nicht, Melady», fauchte ich. «Tut mir leid,
ma maîtresse
, meine ich. Gebt mir doch ein Beispiel, was ich sagen soll.»
    «Wenn du bei einer Person von Rang und Namen zu Besuch bist, musst du diese Person höflich begrüßen. Du könntest zum Beispiel sagen: ‹Guten Tag, Eure Exzellenz. Ich hoffe, Ihr seid wohlauf.› Meine Güte, ich glaube, wir greifen lieber auf die alte Methode zurück.» Sie zog ihr kleines Buch hervor und kritzelte etwas hinein. Ich las die Zeilen laut vor, und es klang schon viel besser.
    «Und was könntest du sagen, wenn er dich einlädt, mit ihm zu speisen?»
    «Wie meinen?», fragte ich hoffnungsvoll. Sie verdrehte die Augen, und Jesmire schnaubte.
    «Du bist wirklich lästig», schalt mich Ihre Ladyschaft. «Sag es richtig.»
    «Eure Exzellenz», seufzte ich gespielt fröhlich, «das ist aber überaus freundlich von Euch.»
    Ich erwartete, meine Herrin würde darauf in ein hämisches Gelächter ausbrechen, aber sie klatschte in die Hände. «Du kannst es ja doch, du Biest.»
    Als ob ich nicht könnte, wenn ich wirklich wollte!
    «Und du weißt, dass du warten musst, bis man dir einen Platz zuweist?», fragte sie.
    «Das sehe ich jeden Tag.»
    «Und dein Glas musst du bei jedem Toast vorsichtig anheben.»
    «Ja, Melady.»
    «Und du musst warten, bis der nächste Gang serviert wird.»
    Ich machte dicke Backen und stieß die Luft aus. «Ja, wenn ich in der Zwischenzeit nicht verhungert bin.»
    «Biddy.» Sie drohte mir mit dem Finger. «Benimm dich.» Aber ich konnte sehen, dass sie sich das Lachen verkneifen musste.
    In diesem Moment tauchte Mr. Pars’ Gesicht vor unserem Fenster auf. Wir waren so sehr in unsere Übung vertieft gewesen, dass wir nicht bemerkt hatten, wie die Kutsche zum Stehen gekommen war.
    «Mylady, benimmt sich das Mädchen etwa ungehörig?», bellte er.
    «Das ist nur unser kleines Spiel», sagte meine Herrin rasch.
    «Ich glaube, das Wetter ist gut genug, dass Biddy draußen beim Kutscher sitzen kann», meinte er und sah mich an, als sei das allein meine Schuld. Dann zog er vor meiner Herrin den Hut. «Dann werdet Ihr nicht länger von ihrer Impertinenz gestört.»
    «Nein», erwiderte sie blitzschnell. «Biddy bleibt bei mir. Sie unterhält mich.»
    Mr. Pars’ Augen

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