Das Schicksal der Paladine - Gejagt (German Edition)
schnallte er den Lederharnisch um, der für ihn bereitlag, schnappte sich Helm und Axt und stürmte in den Schankraum.
Die Mädchen standen dort bei den anderen Paladjur, die jüngsten drängten sich furchtsam aneinander. Katmar war nicht zu sehen. »Tiana, Vinjala, ihr kommt mit mir«, bestimmte Martin. »Ihr drei auch«, fügte er an drei ältere Paladjur gewandt hinzu, die die Mädchen in anderen Gasthäusern gefunden und hergebracht hatten. Martin hatte auf gestandene Krieger vom Schlage Katmars gehofft. Diese drei waren hingegen kaum älter als die Mädchen und wirkten verängstigt. Aber vielleicht konnten sie mit ihren Zaubern dennoch nützlich sein. »Die Übrigen bleiben hier und halten sich bereit.«
Gemeinsam mit den Paladjur stürmte er zum Osttor, bog kurz davor links ab, lief ein paar Schritte an der Mauer entlang und sprang dann in einem Turm, immer drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum Wehrgang hinauf. Auf der Mauer angekommen, lehnte er sich an die Zinnen und sah den Feind kommen. Nach der Zahl der Fackeln, die in der Ferne, am östlichen Rand des Talkessels, zu sehen waren, zog eine große Armee auf Kreuzstadt zu.
Mit Martin starrte eine ganze Reihe von Soldaten auf den Fackelzug, manche grimmig, manche ängstlich. Martins Hand krampfte sich um den Knauf seiner Axt. Er hatte keine Angst vor der Schlacht und auch nicht vor dem Tod. Sein Leben währte nun schon länger als das der meisten, er hatte viele Kämpfe bestanden – aber eine Belagerung war nicht darunter gewesen. Und diese Situation gefiel ihm ganz und gar nicht. Am liebsten wäre er jetzt gleich mit einer Kompanie hinausgerannt und hätte sich dem Feind gestellt, doch angesichts der großen Zahl an Gegnern wäre das genauso töricht wie selbstmörderisch gewesen. Der Feind war ihnen weit überlegen, selbst ohne die untoten Paladine. Die Mauern der Stadt versprachen den Verteidigern hingegen Deckung, während die Oger und Wolfsmenschen auf dem ganzen Weg über die Felder und Weiden bis zur Stadt ein hervorragendes Ziel abgeben würden.
Martin sah zum nächststehenden Katapult hinüber. Die Besatzung stand bereit, machte aber keine Anstalten zu schießen. Vermutlich war der Feind noch nicht in Reichweite. Martin hielt nach General Dalob Ausschau, konnte aber weder ihn noch Katmar irgendwo entdecken. Also hielt er einen vorbeieilenden Soldaten an und fragte nach ihnen. Sie waren im Torturm, der sich direkt über dem östlichen Stadttor erhob. Auf seiner Plattform konnte Martin ein paar Fackeln und die Umrisse eines weiteren Katapults erkennen.
»Was jetzt?«, fragte Tiana neben ihm. Sie war ganz außer Atem und hatte Martin eben erst wieder eingeholt.
Ihr Anblick versetzte Martin einen Stich. Kinder hatten in einer Schlacht nichts zu suchen und Mädchen schon gar nicht. Auch wenn er nun schon über sechzig Jahre hier lebte, dachte er noch immer so. Dabei waren Kriegerinnen etwas völlig Normales in Nuareth, und wenn er sich die Soldaten um sich herum genauer besah, waren auch einige Frauen darunter. Mit ihren sechzehn oder siebzehn Jahren – genau wusste Martin es nicht – galt Tiana nach hiesigen Maßstäben auch nicht mehr als Kind. Trotzdem fand Martin es falsch, dass sie das Leid und das Grauen der Belagerung würde erleben müssen und womöglich selbst verletzt oder getötet wurde. Ob er den Plan, den er mit dem Wirt des Ogertrogs für den Fall der Fälle ausgeheckt hatte, schon jetzt in die Tat umsetzen sollte? Er schob den Gedanken beiseite. Hier ging es nicht nur um ihn oder Tiana, die ganze Stadt war bedroht, und wenn die Mädchen in seinen Augen auch noch Kinder sein mochten, zählten sie mit ihren Fähigkeiten doch zu den wertvollsten Kämpfern unter den Verteidigern von Kreuzstadt. Also deutete er auf den Turm über dem Tor. »Katmar und der General sind dort.« Sie setzten sich in Bewegung.
»Was wird unsere Aufgabe sein?«, fragte Tiana.
Martin lag eine sarkastische Antwort auf den Lippen, aber er schluckte sie hinunter. Dafür war nun nicht der richtige Zeitpunkt. »Heilen, Schild- und Angriffszauber, je nachdem wie der Feind vorgeht.«
Zur Plattform des Turms führte keine Treppe, sondern eine schmale Leiter. General Dalob starrte oben mit einem Fernrohr in die Dunkelheit. Ein erster Donner rollte durch den Talkessel und wurde von den Felswänden zurückgeworfen. Es erinnerte Martin an den Auftakt einer dramatischen Oper. Der Himmel war schwarz von dunklen Wolken, kein Stern zu sehen, nur die Lichter der
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