Das Schicksal der Paladine - Gejagt (German Edition)
er Martin nun reichte. »Das hat Talog in der Stube gefunden«, erklärte er.
»Und was gibt es zu sehen?«
»Der Enuk war draußen zur Jagd und kam aufgeregt zurück, erzählte etwas von einem toten Vogel, der herumhüpft«, berichtete Talog. »Die Kinder kamen damit zu mir und ich habe es mir mal angesehen. Er ist dort hinten.«
Martin setzte das Fernrohr an und richtete es in die angegebene Richtung. Er sah die Furchen eines Ackers, schwenkte ein bisschen hin und her und hatte schließlich einen Vogel im Blickfeld. Er war mittelgroß und schwarz, wie eine irdische Krähe, und schien etwas unmotiviert auf und ab zu hüpfen. Ansonsten konnte Martin aber nichts Besonderes an ihm erkennen. »Und der Enuk meint, der Vogel sei tot?«, fragte er, während er den Vogel mit bloßem Auge suchte. Er war ziemlich weit weg, nur ein hüpfender schwarzer Punkt.
»Ja, tot«, bestätigte der Enuk selbst, der unbemerkt zu ihnen gelaufen war. »Toter Vogel.« Er fauchte und fletschte die Zähne. So harmlos und verschmust Enuks auch wirken mochten, sie waren Raubtiere und ernährten sich von Vögeln und kleinen Nagetieren.
»Ein Spion der Nekromanten?«, mutmaßte Katmar.
Martin runzelte die Stirn. Wenn die Nekromanten die Gruppe beobachteten, wieso griffen sie dann nicht an? »Habt ihr die anderen Richtungen im Auge? Rückt der Feind an?«, fragte er besorgt.
»Ich habe eben noch auf der anderen Seite geschaut, weit und breit niemand zu sehen.«
Martin rieb sich nachdenklich über die Bartstoppeln. »Ich denke, wenn der Vogel ein Spion ist, hätten die Nekromanten längst ihre Armee in Gang gesetzt, um uns zu fangen. Sollte der Enuk aber recht haben, sollen sie weiter glauben, dass wir ihren Spion noch nicht entdeckt haben, also lassen wir ihn in Ruhe und ziehen sofort weiter.« Er wandte sich um. Der Rest der Gruppe hatte sich hinter ihnen im Stall versammelt. Ihre Gesichter spiegelten unterschiedliche Emotionen. Die Alten sahen besorgt aus, die Kinder verängstigt, aber vor allem war ihnen immer noch die Erschöpfung anzusehen und ein weiterer Gewaltmarsch stand ihnen bevor.
»Auf geht‘s!«, befahl Martin, ließ Katmar vorangehen und gab jedem, der an ihm vorbeikam einen aufmunternden Klaps. Den Jugendlichen schenkte er ein Lächeln, das Zuversicht ausstrahlen sollte, aber er hatte seine Zweifel, dass ihm das gelang.
Shurma kam als letzte und blieb stehen. Sie sah wirklich unheimlich verändert aus, ganz anders als die Magd im Ogertrog , die Martin gekannt hatte. Immer noch schön, aber auch streng und abgebrüht in ihrer Ausstrahlung. Nie hätte er gedacht, dass sich unter dem Kleid der Tavernenmagd eine Kriegerin verbarg.
Sie legte ihm die Hand auf den Arm und lächelte. »Es tut mir leid wegen vorhin. Velus ist alt genug, seine Entscheidungen allein zu treffen, es ist nur ...« Ihr Lächeln erlosch und sie sah zu Boden. »Ich werde ihn vermissen. Er war zu mir wie ein Vater.«
»Ist schon gut«, sagte Martin. »Wir sind alle angespannt.« Gemeinsam verließen sie den Stall und gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. »Wie kam es, dass du als ehemalige Gardistin Magd im Ogertrog geworden bist?«, fragte er dann, um sich zumindest für einen Moment von der Gefahr ablenken zu lassen.
»Ich war Offizierin in der Stadtgarde«, erzählte Shurma. »Vielleicht hätte ich es sogar zur stellvertretenden Anführerin bringen können. Aber vor ein paar Jahren wurde der Anführer der Stadtgarde ermordet und der Rat berief einen neuen, Hajonas.« Sie seufzte. »Er hat früher einmal um mich geworben, und ich habe ihn abgewiesen. Das trug er mir noch nach, und als sich die Gelegenheit ergab, denunzierte er mich. Er behauptete, ich würde meinen Körper an Würdenträger verkaufen, um meine Karriere voranzubringen.« Sie spuckte angewidert auf den Boden. »Leider gab es gewisse Anhaltspunkte, die seine Verdächtigungen bestätigten.«
Martin sah sie erstaunt an.
Shurma hob abwehrend die Hände. »Einer der Stadträte war früher unser Nachbar und wir waren als Jugendliche ein Pärchen, nichts Ernstes. Hajonas hatte irgendetwas gegen ihn in der Hand und so sagte dieser Stadtrat aus, ich hätte ihn zum Wohle meiner Karriere verführen wollen. Also wurde ich aus der Stadtgarde unehrenhaft entlassen. Meine Eltern waren tot, ich saß mittellos auf der Straße.«
»Und Velus?«
»Ich ertränkte meinen Kummer einige Tage lang im Ogertrog , und als ich die Zeche nicht mehr bezahlen konnte, hörte er sich meine Geschichte an.
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