Das Schicksal der Paladine - Gejagt (German Edition)
Er machte mir das Angebot für ihn zu arbeiten, gab mir einen Platz zum Schlafen. Ich habe immer gedacht, irgendwann würde er nachts in mein Zimmer kommen und eine Gegenleistung verlangen, aber er hat mich nie angefasst. Seine Frau und seine Tochter waren an einer Seuche gestorben und er war einsam. Wir waren wie eine Familie. Und jetzt ...« Sie biss sich auf die Lippe. »Ich hätte bei ihm bleiben sollen. Wir haben uns nicht einmal verabschiedet.«
»Unsinn«, widersprach Martin und erinnerte sich an den letzten Blick des Wirts in den Tunnel, hinter Shurma her, nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte. »Das hätte er sicher nicht gewollt. Velus wollte nicht aufgeben, wofür er sein Leben lang gearbeitet hat. Es war sein Wunsch, dass du dich in Sicherheit begibst, und er wusste, wenn er dir gesagt hätte, dass er nicht mit uns kommt, wärest du auch geblieben.«
Sie nickte mit traurigem Blick und sah in Richtung Kreuzstadt zurück. Auch Martin wandte sich um. Dicke Qualmwolken stiegen dort zum Himmel auf. Entweder war die Stadt schon gefallen oder der Widerstand lag in den letzten Zügen. Doch was ihn viel mehr beunruhigte, war der kleine schwarze Punkt, der auf dem Acker auf und ab hüpfte. Er hob das Fernrohr und erkannte damit den Vogel wieder, der ihnen folgte. Hin und wieder erhob er sich mit trägen Flügelschlägen in die Luft und flog ein paar Meter. So behielt er den Abstand zu ihnen bei.
»Folgt uns der Vogel?«, fragte Shurma.
Martin nickte. »Ich verstehe das nicht. Wenn die Nekromanten wissen, wo wir sind, warum halten sie uns dann nicht auf? Hier, auf offenem Feld, wären wir doch leichte Beute. Wenn wir aber erst einmal den Tunnel erreicht haben ...«
»Vielleicht wissen sie nichts von dem Tunnel. Er führt zwar auch in die Unterwelt, aber hauptsächlich wurde er von Schmugglern benutzt, die ihre Waren so aus dem oder in den Talkessel brachten, ohne die gut einzusehenden Straßen benutzen zu müssen. Womöglich ist er in den Karten der Unterwelt nicht verzeichnet.«
Martin runzelte die Stirn. »Dann würden die Nekromanten also denken, wir laufen in eine Sackgasse, weil es keine Brücke über den Fluss gibt, sodass wir entweder umkehren oder nach Osten abdrehen müssten.«
»... und ihnen so in die Arme liefen«, vollendete Shurma.
»Das wäre eine Erklärung«, überlegte Martin laut. »Wir sollten erstmal ruhig weiter marschieren, um sie nicht zu alarmieren. Aber irgendwann wird der Vogel den Tunnel entdecken. Eventuell sind auch noch andere Spione unterwegs. Wir müssen sehr wachsam sein.«
Tristan fühlte sich, als würde er aus einer Narkose erwachen. Zuerst nahm er nur Geräusche wahr. Etwas raschelte, eine leise Stimme murmelte. Als Nächstes kam sein Gefühl zurück. Er lag auf dem Rücken, wurde aber bewegt, manchmal durchgeschüttelt und seine Füße schleiften über den Boden. Ein starker Geruch drang ihm in die Nase, irgendein Tier musste in der Nähe sein. Aber was er auch versuchte, er konnte seine Augen nicht öffnen.
Also konzentrierte Tristan sich auf die anderen Wahrnehmungen, versuchte Hinweise darauf zu finden, was mit ihm geschah, wer ihn transportierte. Er lauschte, ob er das Grunzen von Ogern oder das Hecheln von Wolfsmenschen hören konnte, vernahm aber nichts davon. Auf das, was er hörte, konnte sich sein benebeltes Hirn keinen Reim machen. Als er schon kapitulieren und sich zurück in die Bewusstlosigkeit sinken lassen wollte, durchfuhr ihn jedoch eine erschreckende Erkenntnis.
Es war nichts von dem, was um ihn herum war. Etwas fehlte, ein mittlerweile vertrautes Gefühl war nicht mehr da. Die Kette um seinen Hals und das leichte Gewicht des Amuletts auf seiner Brust waren fort. Man hatte es ihm abgenommen. Er stöhnte.
»Der Paladin wacht auf, glaubst du?«, hörte er plötzlich eine Stimme sagen. Es klang nach einer Frau, was Tristan vollends verwirrte. Er wollte unbedingt die Augen öffnen, aber die Anstrengung raubte ihm den letzten verbliebenen Rest an Kraft, und so sehr er sich auch dagegen sträubte, schlang doch die Bewusstlosigkeit wieder ihre Arme um ihn. Wie durch einen Tunnel hallte von fern noch die Stimme der Frau zu ihm, wurde aber immer leiser. »Nein, Parwali, der wird noch lange schlafen. Ich glaube nicht, dass er vor dem morgigen Tag wieder zu sich kommt.«
Die Felswände links und rechts rückten immer näher. Der Talkessel war überwiegend wie ein Krater geformt, hier im Nordwesten aber liefen die Hänge spitz zu einer vom Fluss
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