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Das Schicksal der Zwerge

Das Schicksal der Zwerge

Titel: Das Schicksal der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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zu.
    Sie lauschte an der dicken Tür und vernahm kein Geräusch. Als sie durch das vergitterte Fenster spähte, sah sie auf einen Vorhang. Licht brannte in der Wachstube, das war alles, was sie in Erfahrung brachte.
    Coiras Blut rauschte in den Ohren. So viel Unabwägbares, dem sie sich stellen musste. Wie viele Orks werden drin sitzen?, überlegte sie. An normalen Umläufen betrug die Zahl der Wachen nicht mehr als ein halbes Dutzend, doch jetzt, in Hinsicht auf die Lage in der Stadt das Dreifache?
    Sie zog ihr Schwert unter dem Mantel hervor, sammelte die magischen Kräfte und bereitete sich für einen Zauber vor, der die Bewacher in den Schlaf schicken sollte. An Menschen hatte sie ihn schon des Öfteren erprobt, aber wie die grünhäutigen Scheusale darauf reagierten, konnte sie nicht vorhersagen. Coira zog den Schal vor Mund und Nase, dann gab sie sich Mühe, einen grimmigen Gesichtsausdruck aufzusetzen, bevor sie die Klinke herabdrückte und in die Stube sprang. »Ihr werdet euch nicht rühren ...«, rief sie und hielt inne.
    Der Raum war leer.
    Auf dem Tisch standen sieben Humpen, alle gefüllt. Die Spuren des Nachtmahls waren deutlich zu erkennen, abgenagte Hühnerknochen, Brotkrumen und Gemüsereste lagen auf einer Platte herum.
    Coira drückte die Tür ins Schloss und durchquerte behutsam den Raum. Waren die Wärter nach oben gegangen, um den Gefangenen ihr Essen zu bringen? Ihre leicht orangefarbenen Augen richteten sich auf das Brett mit den Nägeln neben dem Aufgang zu den Zellen, an dem kein einziger Schlüsselbund hing. Es wurde immer merkwürdiger, und je länger sie darüber nachdachte, desto mehr kam sie zum Schluss, dass ihr jemand zuvorgekommen war.
    Sie eilte die Stufen hinauf in den ersten Stock und hielt sich immer noch bereit, Schwert und Magie einzusetzen.
    Noch auf dem Absatz zum ersten Geschoss sah sie sofort die geöffneten Zellentüren. Besaß der Poet der Freiheit derart mutige Freunde, die ihn aus einer Übermacht befreien würden? Sie lächelte bei dem Gedanken glücklich. Hastig rannte sie weiter nach oben, bis sie sich vergewissert hatte, dass jede Zelle leer war. Die Enttäuschung, dass nicht sie es war, die ihn befreit hatte, hielt nicht länger als ein Fingerschnippen. Was zählte, war, dass sich der Unerreichbare in Freiheit befand.
    Coira hetzte die Stufen wieder hinab und stand plötzlich vor Rodario dem Siebten. Er erschrak mindestens ebenso sehr wie sie und stieß sogar einen leisen, spitzen Schrei aus; klirrend fiel sein Dolch auf den Boden.
    »Was macht Ihr denn hier?«, wunderte sich die junge Frau.
    Rodario schluckte und hob die Waffe auf, säuberte sie an seinem Umhang und hielt sie linkisch in der Hand, dann steckte er sie mit einem verlegenen Räuspern weg. Sie sah sofort, dass er damit nicht umgehen konnte. »Vermutlich das Gleiche, was Ihr hier wolltet«, stotterte er verblüfft und sah auf ihr Schwert. Er wischte sich ein paar Strähnen vor den Augen weg. »Den Unerreichbaren befreien.«Coira musste lachen. »Alleine?«
    Der Mann runzelte die Stirn, er schien beleidigt. »Sicher alleine. Ich möchte ja niemanden sonst in Gefahr bringen.« Er sah an ihr vorbei zum Aufgang. »Wo ist er?« »Wir sind beide zu spät. Er ist schon befreit worden.« Sie fand es unglaublich rührend, dass ausgerechnet der schmächtige, unbehände Mann und haushohe Verlierer des Umlaufs ausgerückt war, um sich mit Orks zu schlagen und den Favoriten zu befreien. Wo dieser Rodario doch so gar nichts von dem besaß, was dem Unerreichbaren im Überfluss anhaftete.
    Rodario strahlte. »Oh, Samusin sei Dank! Umso besser.« Er wirkte sehr erleichtert. »Dann könnten wir doch wenigstens zusammen verschwinden.« Er betrachtete sie, und Coira erkannte in seinen Blicken, dass sie ihm gefiel. Das hatte ihr noch gefehlt! Plötzlich näherten sich von draußen laute, dunkle Stimmen dem Eingang, dann hörten sie das Rumpeln von schweren Stiefeln und das metallische Scheppern von Rüstungen. Eine Wacheinheit kehrte vom Rundgang zurück.
    »Der Turm hat nur den einen Ausgang«, flüsterte sie Rodario zu und löschte die Lampen. »Rasch, verstecken!« Er wollte zur Treppe ins erste Geschoss rennen, aber sie hielt ihn am Ärmel fest. »Nein, nicht in die Zellen. Einfacher könnten wir es den Wachen wohl nicht machen.« Sie gab ihm einen Stoß, der ihn neben den Waffenschrank in die Ecknische torkeln ließ. Coira folgte ihm und presste sich neben ihm gegen die Wand. Die Schatten fielen günstig, sodass die

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