Das Schicksal in Person
niemand oben am Hang stehen?«
»Nein. Wir sind den Hauptweg gegangen, aber natürlich gibt es immer Leute, die querfeldein laufen. Doch an dem Nachmittag ist mir niemand aufgefallen.«
Dann wurde Joanna Crawford aufgerufen. Nachdem alle Angaben zu ihrer Person geklärt waren, fragte Dr. Stokes:
»Sie sind nicht bei der Gruppe geblieben?«
»Nein, wir sind nicht den Hauptweg gegangen. Wir liefen etwas weiter oberhalb.«
»Sie waren in Begleitung?«
»Ja. Mr Emlyn Price.«
»Sonst war niemand bei Ihnen?«
»Nein. Wir haben uns unterhalten und Blumen angesehen. Emlyn interessiert sich für Botanik, und dort oben gibt es ein paar seltene Pflanzen.«
»Hatten Sie die Übrigen ganz aus den Augen verloren?«
»Nein. Ab und zu sahen wir die anderen, die unter uns auf dem Weg entlanggingen.«
»Auch Miss Temple?«
»Ich glaube, ja. Sie ging den anderen voraus und verschwand dann um eine Wegbiegung. Wir konnten sie nicht mehr sehen, weil sie vom Hügel verdeckt wurde.«
»Sahen Sie jemand über sich auf dem Hügel gehen?«
»Ja. Oben, zwischen den Findlingen. Es gibt eine Stelle, wo ziemlich viele Steine sind.«
»Ja«, sagte Dr. Stokes, »ich weiß genau, welche Stelle Sie meinen. Es sind große Granitblöcke. Sie werden hier in der Gegend ›Die Hammel‹ genannt oder ›Die grauen Hammel‹.«
»Vielleicht sehen sie von weitem wie Schafe aus, aber wir waren nicht so weit entfernt.«
»Und Sie sahen dort jemand?«
»Ja. Zwischen den Findlingen.«
»Und derjenige versuchte, einen Stein wegzurollen?«
»Ja. Ich sah es und wunderte mich darüber. Er beugte sich über einen der Steine, die an der Außenkante stehen, nahe am Abhang. Sie sind so groß und schwer, dass man sie kaum fortwälzen kann. Der Stein, den er oder sie losstemmte, schien nicht ganz fest in der Erde gesteckt zu haben.«
»Zuerst haben Sie ›er‹ gesagt und nun ›sie‹, Miss Crawford. Wer war es denn, ein Mann oder eine Frau?«
»Zuerst – zuerst dachte ich, es sei ein Mann, aber eigentlich dachte ich in dem Augenblick gar nicht darüber nach. Er oder sie trug Hosen und einen Pullover, eine Art Männerpullover mit offenem Kragen.«
»Welche Farbe hatte dieser Pullover?«
»Er war rot-schwarz kariert, ein sehr leuchtendes Rot. Und unter einer Art Baskenmütze sah langes Haar hervor, wie das Haar einer Frau. Aber es kann auch das Haar eines Mannes gewesen sein.«
»Natürlich«, sagte Dr. Stokes trocken. »Heutzutage ist es nicht ganz einfach, Männer und Frauen an ihren Haaren zu unterscheiden. Und was geschah weiter?«
»Dann fing der Stein an zu rollen. Erst langsam, dann immer schneller. Ich hörte ein krachendes Geräusch und von unten einen Schrei. Aber das kann ich mir auch eingebildet haben.«
»Und weiter?«
»Wir sind um den Hügel herumgelaufen, um zu sehen, wo der Stein geblieben war.«
»Und was sahen Sie?«
»Der Stein lag unten auf dem Weg und darunter ein Mensch. Wir beobachteten, wie Leute herbeigelaufen kamen.«
»War es Miss Temple, die den Schrei ausgestoßen hatte?«
»Ich glaube, ja. Vielleicht aber auch jemand von den anderen, der sie dort liegen sah. Es war schrecklich.«
»Das glaube ich Ihnen. Aber was geschah mit der Gestalt, die Sie oben gesehen hatten? Der Mann oder die Frau im schwarz-roten Pullover. Stand diese Gestalt immer noch oben bei den Steinen?«
»Ich weiß es nicht, ich habe nicht mehr hingeschaut. Ich rannte hinunter, um zu helfen. Ich war zu sehr mit dem Unfall beschäftigt. Vielleicht schaute ich ganz kurz noch einmal hinauf, aber ich sah nichts. Nur die Steine. Es sind so viele dort oben, dass man einen Menschen leicht aus den Augen verlieren kann.«
»Hätte es jemand von der Reisegesellschaft sein können?«
»Nein. Ganz bestimmt nicht, es war keiner von uns. Das hätte ich gewusst, ich hätte ihn an der Kleidung erkannt. Es hat aber niemand so einen Pullover getragen.«
»Vielen Dank, Miss Crawford.«
Als nächstes wurde Emlyn Price aufgerufen. Seine Geschichte wich kaum von Joannas Bericht ab.
Nach ein paar nebensächlicheren Aussagen wurde die Untersuchung abgeschlossen. Der Coroner sagte, dass nicht genug Beweismaterial vorliege, um zu klären, wie Elizabeth Temple den Tod gefunden habe. Vierzehn Tage später sollte eine weitere Untersuchung stattfinden.
16
D er Rückweg zum Hotel verlief sehr schweigsam. Professor Wanstead begleitete Miss Marple, und da sie nicht sehr schnell gingen, blieben sie bald hinter den anderen zurück.
»Und was geschieht jetzt?«,
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