Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)
war dein letzter Kuss?«
Ich dachte nach. Meine Kusserfahrungen – alle vor der Diagnose – waren verkrampft und schlabberig gewesen, und irgendwie hatte es sich immer ein bisschen angefühlt wie Kinder, die Erwachsene spielten. Aber es war natürlich auch eine Weile her. »Vor Jahren«, sagte ich. »Und du?«
»Ich habe ein paar gute Küsse von meiner Exfreundin bekommen, Caroline Mathers.«
»Auch Jahre her?«
»Der letzte ist ein knappes Jahr her.«
»Was ist passiert?«
»Bei dem Kuss?«
»Nein, mit dir und Caroline.«
»Ach so«, sagte er. Und dann, nach einer Sekunde: »Caroline wurde vom Menschsein erlöst.«
»Oh«, sagte ich.
»Ja«, sagte er.
»Tut mir leid«, sagte ich. Ich kannte natürlich auch jede Menge tote Leute. Aber ich war noch nie mit jemandem zusammen gewesen, der jetzt tot war. Ich konnte es mir ehrlich gesagt nicht richtig vorstellen.
»Du kannst nichts dafür, Hazel Grace. Wir sind alle bloß Nebenwirkungen, oder?«
»Seepocken am Containerschiff des Bewusstseins«, sagte ich, ein Zitat aus Ein herrschaftliches Leiden.
»Na gut«, sagte er. »Ich muss ins Bett. Es ist fast eins.«
»Okay«, sagte ich.
»Okay«, sagte er.
Ich kicherte und sagte: »Okay.« Und dann war die Leitung still, aber nicht tot. Beinahe hatte ich das Gefühl, er war bei mir im Zimmer, aber eigentlich war es noch besser, als wäre ich selber nicht in meinem Zimmer und er nicht in seinem, sondern wir wären beide in einem flüchtigen, unsichtbaren dritten Raum, der nur über das Telefon besucht werden konnte.
»Okay«, sagte er nach einer Ewigkeit. »Vielleicht wird ›okay‹ unser ›für immer‹.«
»Okay«, sagte ich.
Es war Augustus, der irgendwann auflegte.
Auf die E-Mail, die er an Peter Van Houten geschickt hatte, hatte Augustus vier Stunden später eine Antwort bekommen, ich aber hatte nach zwei Tagen immer noch nichts von Van Houten gehört. Augustus versicherte mir, es würde daran liegen, dass meine E-Mail besser geschrieben war und eine besser durchdachte Erwiderung verlangte, dass Van Houten wahrscheinlich an den Antworten auf meine Fragen saß und dass brillante Prosa Zeit brauchte. Doch ich hatte kein gutes Gefühl.
Am Mittwochmorgen während der Vorlesung Amerikanische Dichtung für Anfänger 101 erhielt ich eine SMS von Augustus: Isaac operiert. Alles gut gegangen. Und dann, ein paar Sekunden später: Ich meine, er ist blind. Das ist nicht gut. Aber offiziell krebsfrei.
Am Nachmittag erlaubte mir Mom, ihr Auto zu nehmen, um Isaac im Memorial Hospital zu besuchen.
Ich fragte mich durch, bis ich sein Zimmer im vierten Stock fand, klopfte an die offene Tür, und eine Frauenstimme sagte: »Herein.« Es war eine Krankenschwester, die etwas am Verband über Isaacs Augen machte. »Hallo, Isaac«, sagte ich.
Und er fragte: »Moni?«
»Oh, nein. Tut mir leid. Nein, ich bin’s, also, Hazel. Die Hazel aus der Selbsthilfegruppe? Die Hazel vom Trophäenmassaker?«
»Ach so«, sagte er. »Hm. Alle haben mir versprochen, dass meine anderen Sinne schärfer werden, um meine Sehkraft auszugleichen, IST ABER WOHL NOCH NICHT PASSIERT. Hallo, Selbsthilfehazel. Komm rüber und lass mich dein Gesicht mit den Händen erkunden und dir tiefer in die Seele blicken, als es je ein Sehender getan hat.«
»Er macht nur Witze«, erklärte die Schwester.
»Ja«, gab ich zurück, »ist mir aufgefallen.«
Ich ging zum Bett, nahm mir einen Stuhl, setzte mich und griff nach seiner Hand. »Hallo«, sagte ich.
»Hallo«, erwiderte er. Dann eine Weile nichts.
»Wie geht’s dir?«, fragte ich.
»Es geht«, sagte er. »Ich weiß nicht.«
»Was weißt du nicht?«, fragte ich. Ich sah seine Hand an, weil ich nicht in sein Gesicht mit den verbundenen Augen sehen wollte. Isaac kaute an den Fingernägeln, und an ein paar Fingern war seine Nagelhaut blutig.
»Sie war nicht mal da, um mich zu besuchen«, sagte er. »Ich meine, wir waren vierzehn Monate zusammen. Vierzehn Monate sind eine lange Zeit. Mensch, das tut weh.« Isaac ließ meine Hand los und suchte nach der Schmerzpumpe, über die er die Schmerzmittel selbst dosieren konnte.
Als die Schwester mit dem Verbandwechsel fertig war, richtete sie sich auf. »Es ist erst zwei Tage her, Isaac«, sagte sie mit einer leichten Mahnung in der Stimme. »Du musst dir Zeit zum Heilen geben. Und im großen Ganzen sind vierzehn Monate nicht besonders lang. Du stehst noch ganz am Anfang, junger Mann. Du wirst schon sehen.«
Die Schwester ging. »Ist sie weg?«
Ich
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