Das Schiff aus Stein
Anselm und Oliver herein.
»He, war das nicht eben Coralias Stimme?«, erkundigte sich Anselm. »War sie etwa hier?«
»Ja«, antwortete Filine knapp. »Sie war hier mit Rufus zum Frühstücksplausch verabredet, weil sie ihn so vermisst.«
Rufus sah, wie Anselm und Bent sich einen fragenden Blick zuwarfen. Schnell wandte er sich an die Runde. »Coralia ist ja jetzt wieder weg. Und sie ist auch gar nicht unser Thema! Was ich euch sagen wollte, ist das: Ich habe mich gestern in der Flut geirrt! Ich habe gedacht, wir würden von da oben sehen können, wo wir sind, und die richtige Spur finden. Das war falsch von mir. Und das ist mir heute Nacht klar geworden. Ich habe einen dummen Fehler gemacht. Ich war unkonzentriert, und ihr habt dafür gebüßt. Und das tut mir ehrlich leid. Aber ich weiß jetzt auch, wie wir weiterkommen!«
In der Küche breitete sich erstauntes Schweigen aus. Oliver sah Rufus neugierig an. Dann schrieb er auf seinen Block: Sag es schon! Welcher Spur hätten wir folgen sollen?
»Dem Gestank«, antwortete Rufus sofort. »Der Gestank in der Stadt ist eine wichtige Spur. Denn so was gab es bestimmt nicht an vielen Orten. Und das heißt, wir müssen rausfinden, warum es da so roch.«
»Aber Rufus!« Bent lachte plötzlich laut. »Warum stinkt es schon in einer antiken Stadt?! Natürlich wegen der Kloake!«
Doch Rufus schüttelte den Kopf. »Nein, Bent, es roch anders als nach Kloake. Ruf dir den Geruch noch mal genau in Erinnerung. Für mich roch es irgendwie auch nach Knoblauch.«
No verzog das Gesicht. Aber dann konnte Rufus sehen, wie er sich konzentrierte und dabei die Nasenflügel bewegte.
»Hört zu«, sagte Rufus. »Ich finde, es hat da nicht einfach gestunken, es war irgendwie auch … der Geruch war so tief und durchdringend. Ich meine, er hing so fest in den Straßen wie ein Tuch, das man über sie gelegt hatte. So, als hätte sich der Geruch richtig in die Mauern und Steine gesenkt, als wäre er schon sehr lange da!«
Anselm brach in ein johlendes Gelächter aus. »Oh, das wird ja immer besser, Rufus! Die stinkende Stadt als ultimative Flutspur. Ehrlich, du bist ja verrückt. Beim ersten Mal hast du dir eine Glaswerkstatt als Spur ausgesucht. Dann willst du dir die ganze Stadt von oben ansehen. Und jetzt geht es um die Kloake, die für dich wie Knoblauch riecht. Viel weiter auseinander können deine Spuren ja wohl nicht liegen.«
»Tun sie das denn wirklich?« Rufus sah Anselm scharf an.
In diesem Moment wedelte Oliver mit seinem Block: Rufus hat recht, stand darauf Es war ein seltsamer Geruch. Wie fauler Fisch und Knoblauch!
»Na, dann haben sie da wohl alle ihr Essen stehen lassen«, grinste Anselm. »Fisch und Knoblauch und etwas Kloake – das ist ja wirklich eine sehr interessante Mischung.«
»Das stimmt«, sagte Filine plötzlich ruhig. Sie stellte sich dicht neben Rufus und flüsterte ihm ins Ohr: »Das mit Coralia erklärst du mir später! Ich finde das nämlich nicht besonders komisch. Aber jetzt habe ich eine Idee.« Laut fuhr sie fort: »Es gab in der Antike einen Farbstoff, der mit den Gerüchen, die bisher genannt worden sind, zu tun haben könnte.«
»Was soll das denn sein? Die Mischung klingt doch wohl eher nach einem Brechmittel als nach Farbe!« Anselm lachte spöttisch.
»Mach dich ruhig lustig«, sagte Filine gelassen. »Aber ich habe gestern, anstatt mich um Damaszenerstahl zu kümmern, noch eine ganze Menge gelesen. Der Farbstoff, an den ich denke, wurde aus Schnecken gemacht, die drei Tage in Salzwasser eingelegt und dann mit Urin verkocht wurden. Und dabei rochen sie nun mal nach Fisch und Kloake und irgendwie auch noch nach Knoblauch!«
Jetzt fing auch Bent an zu lachen. »Und wie soll dieses Teufelszeug bitte heißen? Vielleicht ›wohlriechende Schneckenschleimfarbe‹?«
»Das ›Teufelszeug‹, an das ich denke«, verkündete Filine mit leicht ironischem Unterton, »ist bestimmt kein Schneckenschleim! Könige haben Mäntel in dieser Farbe getragen. Und es wurde damals mit Gold aufgewogen!«
No machte große Augen. »Ist das dein Ernst?«
»Ja«, sagte Filine. »Und ich glaube, Rufus hat eine sehr gute Spur entdeckt! Alles, was er sagt, passt nämlich haargenau. Warum sind wir da nur nicht früher draufgekommen? Wir hätten mal gründlicher nachdenken sollen, anstatt einfach nur die Nase zu rümpfen.«
Oliver hielt wieder seinen Block in die Höhe. Darauf stand: Ist es vielleicht Purpur?
»Ja«, sagte Filine.
Kaum hatte die 95. Nachfahrin
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