Das Schiff aus Stein
dir als Glasmacher doch imponieren.«
»Die Glasinseln?«, fragte Amilcar erstaunt.
»Ja, man nennt sie auch Windinseln, denn dort wohnt der Gott der Winde. Er hat Odysseus den Sack mit den Winden gegeben, den seine Schiffsmannschaft geöffnet hat, ehe es sie über das Meer davontrug. Da könntest du sicher genug Wind finden, um dein dünnes Glas zu machen.«
Amilcar schwieg. Nach einer Weile fragte er: »Und warum heißen sie auch Glasinseln, leuchten sie in allen Farben?«
»In allen Farben?!«, rief Hanno. »Schwarz sind sie und Vulkane rauchen über ihnen. Feuer speiende Berge! Kaum ein Baum wächst dort. Aber die Bewohner verkaufen die scharfen Glassteine als Klingen und Schmuck. Es gibt dort viele gläserne Messer.«
»Dann ist das Glas dort also aus dem Feuer der Vulkane geboren«, nickte Amilcar. »Siehst du Hanno, ohne Feuer kein Glas.«
Die Flut wandelte sich. Es war heller Morgen.
Oliver deutete vor sie.
Dort lagen mehrere vulkanische Inseln, deren Schlote dunkel aus dem Meer aufragten. Ein böiger Wind pfiff um das Schiff. Aber das Licht um die Inseln war zart wie Rauch und leuchtete in roten und gelben Tönen.
Amilcar stand hochaufgerichtet neben dem Mast und sog das Bild geradezu in sich auf. »So müsste das dünne Glas leuchten, Hanno«, murmelte er. »So hell wie der Himmel und so zart wie die Luft. Das hat mein Vater immer gesagt. Nicht so düster wie das Meer und die Wogen aus der Tiefe.« Amilcar blickte auf einen der Vulkane, aus dem Rauch in die Luft stieg. »Und dieser Feuerberg schleudert das Glas aus sich heraus?«
Hanno nickte. »So sagen es die, die dort leben.«
»Dann muss eine große Kraft in ihm wohnen.«
Hinter den beiden ließ der Wind das Segel knattern und Amilcar blickte auf. Plötzlich meinte er versonnen: »So, wie der Wind das Segel füllt, so bläst der unterirdische Wind aus dem Feuerberg die heißen Glassteine in die Höhe …«
»Das denkst du dir so«, meinte Hanno. »Aber vielleicht sind es ja auch die Götter, die den Stein in den Himmel schleudern. Die Menschen auf den Glasinseln sagen, dass es in den Feuerbergen so heiß ist, dass man nicht atmen kann, weil die Luft verbrennt! Ich habe sie sagen hören, dass man auch nicht mehr weglaufen kann, wenn der Berg Feuer spuckt, weil alle Luft um ihn herum einfach verschwindet.«
»Ja«, meinte Amilcar. »Man kann ja auch nicht die Lippen an die glühende Glasschmelze legen und die Luft in sie hineinblasen. Man bräuchte schon einen Luftstrahl aus dem Inneren, so wie er unterirdisch aus dem Glasberg in die Höhe fährt. Aber wie will ein Mensch sich ins Innere des heißen Glases begeben? Das ist unmöglich …«
»Was tuschelt ihr da?!«, zischte in diesem Moment eine Stimme hinter ihnen.
Stratis war unbemerkt zu ihnen getreten und sah Amilcar finster an.
»Dein Geheimnis ist nur der Traum einer Wahrheit!«, rief er. »Ich habe mit allen an Bord gesprochen, die etwas vom Handwerk verstehen, und jeder sagt, was du da erzählst, ist unmöglich. Glas macht man nicht aus Wind, Glas töpfert man! Man dreht es, wenn man es gekocht hat. Und nichts anderes geht. Es gibt kein so zartes Glas wie ein Papyrus! Das sind alles Lügen. Also hör auf, mich für dumm verkaufen zu wollen. In wenigen Tagen erreichen wir Ostia, und von dort werde ich dich den Fluss hinauf zum König bringen. Dann wirst du für ihn Glas machen.«
»Aber warum sollte ich das tun?«, wollte Amilcar wissen.
»Weil es deine einzige Chance ist, zu überleben. Vielleicht bringst du es dort mit der Zeit ja sogar zu Ruhm und Ehre. Meine Aufgabe aber wird dann erfüllt sein.«
Der Piratenkapitän drehte sich um und ging auf seine Brücke. Fassungslos sah Amilcar ihm nach. »Ich soll ein Sklave werden, der für einen König Glas anfertigt?!«
»So wie ich«, murmelte Hanno. »Und dort, wo du hinkommst, wirst auch du dich nicht freikaufen können.«
»Aber ich bin ein freier Tyrener!«, rief Amilcar plötzlich.
»Sei besser still, mein Freund!«, riet ihm Hanno. »Sei still, sonst lässt dich Stratis auspeitschen. Denk lieber an dein Glas und überleg dir, wie du dein Leben am teuersten verkaufen kannst. Überleg dir, was du von diesem König fordern willst und wie du es erreichst. Denk an die Kupfermünze, die ich nicht bekommen habe, und mach du es besser!« Hanno zog seine Holzflöte aus dem Gürtel und setzte sich neben Amilcar. Dann begann er, seine Melodie zu spielen.
Amilcar sah Hannos Finger über die Löcher des Instruments wandern und hörte
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