Das Schiff der Hoffnung
Reiter flüchtend verlassen. Der eine Reiter preßte eine geraubte Frau in seine Arme, der andere, der Verfolger, jagte ihnen nach mit einem altertümlichen Vorderlader in der Hand, bereit, den Frauenräuber niederzuschießen.
Über den Tisch verstreut standen kristallene Aschenbecher und Vasen mit künstlichen Blumen. Nelken aus Plastik. Ein Kamel marschierte über den Tisch, so sah es aus – aber es war nur ein Feuerzeug. Drückte man auf den einen Höcker, sprang der zweite auf und gab die Flamme frei. Ein Kamel, aus Silber geschmiedet.
Frank Hellberg hatte dies alles mit wenigen Blicken erfaßt. So wohnt ein Genie, dachte er, und war über diese Bürgerlichkeit sehr enttäuscht. Hier soll ein Mittel entdeckt worden sein, das man ein Wunder nennt?
An dem ovalen Tisch saß die ganze Familie. Dr. Fahrudin Zeijnilagic hatte sich sofort erhoben, als seine Tochter Meliha den Besucher ins Zimmer führte. Er war ein großer, stattlicher Mann mit markantem Gesichtsschnitt, der beherrscht wurde von einer starken, spitzen Nase. Über einer hohen Stirn wellte sich volles, schwarzbraunes Haar. Eine leichte Schläfenglatze war geschickt von einer großen Locke bedeckt. Als er Hellberg die Hand gab, war der Druck kräftig und selbstbewußt. Die dunklen Augen blickten Hellberg ruhig und doch forschend an.
»Ich freue mich«, sagte Dr. Zeijnilagic mit sympathischer Stimme auf englisch, »daß ich Sie heute allein sprechen kann. Sonst ist es unmöglich, da drängen sich in der Diele die Kranken, stehen auf der Treppe bis hinaus auf die Straße. Es gab Tage, da war das Haus umlagert wie eine Festung. Die Miliz mußte den Verkehr von der Obala umleiten. Aber seit zwei Tagen ist es ruhiger.«
»Das Verbot des HTS.« Hellberg verbeugte sich vor den anderen, die um den ovalen Tisch saßen. Dr. Zeijnilagic stellte sie vor.
»Meine Frau Emina. Sie ist Chemikerin und Lehrerin. Meliha, meine älteste Tochter, kennen Sie schon. Das ist Virdana, die jüngere. Und das ist meine Mutter Naifa. Sie ist nach Mekka gepilgert.« Hellberg hörte, mit welcher Hochachtung er das sagte. Eine Mekkapilgerin in der Familie, eine Mutter, die am Grabe des Propheten gebetet hatte – das ist eine Gnade Allahs für die ganze Familie.
Hellberg verbeugte sich, dann wurde ihm ein Stuhl hingeschoben, er saß am ovalen Tisch, und es war ihm, als sei er damit in den Kreis der Familie aufgenommen. So selbstverständlich war das alles, als lebe er schon Jahre hier und sei eben von einem Spaziergang zurückgekommen. Meliha, die älteste der Töchter, ging hinaus und kam mit einer Kanne Tee zurück.
»Trinken Sie Rum dazu?« fragte Dr. Zeijnilagic. »Oder Kognak? Wir nehmen keinen Alkohol, wir sind strenge Moslems.«
»Danke«, sagte Hellberg ein wenig unsicher. Er war beeindruckt von der Einfachheit dieses Lebens, von der Freundlichkeit und der familiären Atmosphäre.
»Sie sagten, Sie wollten alles wissen«, fing Dr. Zeijnilagic die Unterhaltung an. Er bot Hellberg goldgelbe orientalische Zigaretten an. Er selbst rauchte nicht. »Das ist eine weite Frage.«
»Darf ich ganz hart sein, Doktor?« Hellberg tat es fast leid, dies zu fragen.
Dr. Zeijnilagic nickte. »Bitte.«
»Glauben Sie selbst an Ihr HTS?«
»Ich habe sechzehn Jahre damit zugebracht, mich an den Glauben zu gewöhnen, daß mir eine große Entdeckung gelungen ist«, antwortete Zeijnilagic. »Es begann mit einem Patienten, der einen Tumor in der Mundhöhle hatte. Ich bin Zahnarzt und Mundhöhlenspezialist. Damals, vor 16 Jahren, konnte ich meinen Patienten nicht heilen, nur belügen, es sei ungefährlich. Aber diese Lüge war in mir wie ein Motor: Du mußt helfen! Ich hatte ein kleines Labor, primitiv eingerichtet. Was kann sich ein junger Zahnarzt schon leisten! Aber ich stieß bei einer Reihe Blutuntersuchungen auf interessante Dinge, die jetzt zu erklären zu umfangreich sind. Kurzum: Ich spezialisierte mich auf Blutsedimente und entdeckte einen Weg zur Frühdiagnose bestimmter Ca-Formen. Aus dem Blutbild heraus. Ein paar Jahre später bekam ich den ehrenvollen Ruf, Lehrer an einer Dentistenschule zu werden. Ich wurde Professor, Chef eines Kliniklabors in Sarajewo … und ich hatte endlich Möglichkeiten, meine Blutsedimente in großem Stil zu erforschen. Ich fuhr nach Belgrad und nach Köln, zu Professor Gohr. In Belgrad wurde ich ausgelacht, in Köln überprüfte Professor Gohr meine Forschungen und ermunterte mich weiterzumachen. Es ist wie überall auf der Welt, Herr Hellberg: In
Weitere Kostenlose Bücher