Das Schiff der Hoffnung
und bezahlte 3.000 neue Francs dafür. Überglücklich fuhren sie sofort von Bari ab. Ihr Sohn Marcel lag seit 6 Monaten in der Klinik von Marseille. Lymphogranulomatose, lautete die Diagnose. Unheilbar.
Nun glaubten sie, das Leben in der Hand zu haben. In einer Tüte, 20 Kapseln HTS.
Die Mutter weinte vor Glück, als sie aus der Hand des mittelgroßen, bärtigen Mannes die Tüte bekam.
Aus einer Hand, an der Blut klebte.
Aber wer sah es?
Erika Haußmann hatte sich von ihrem Selbstmordversuch erholt. Die Herzspritzen des alten Landarztes und eine Olivenölkur, die einen radikalen Durchfall erzeugte, aber dadurch den gesamten Darm von Giftstoffen reinigte, retteten ihr das Leben. Nach fünf Tagen konnte sie wieder das Zimmer verlassen. Gestützt auf ihren Mann Karl ging sie in den Garten, legte sich in den Liegestuhl unter den Sonnenschirm und atmete tief die mit Blütenduft und Geruch von gemähtem Gras geschwängerte Luft.
Von der kritischsten Stunde ihres Lebens sprachen sie nicht. Karl Haußmann umsorgte Erika mit rührender Tolpatschigkeit, so wie es Männer immer tun, wenn sie etwas gutzumachen haben. Er holte ihr Eis und eisgekühlte Fruchtsäfte, er kaufte in Avezzano die besten Backwaren, ließ saftige Steaks für sie braten und den zartesten Salat anrichten. Am siebenten Tag mietete er einen Karren mit zwei Mauleseln und ließ Erika durch die herrliche Landschaft fahren. Durch Weinberge und Gemüsefelder, zum Fluß Aterno und den Bewässerungskanälen des Tieflandes von Trasacco, das früher einmal sumpfig war und nun ein blühender Garten.
Es war ein herrlicher Tag. In einem Ristorante, dessen Pergola aus einem Dach von Weinranken bestand, aßen sie eine Minestrone und tranken einen herrlichen, leicht süßen, rubinroten Wein. Und hier erst brach Erika ihr Schweigen über das Vorgefallene.
»Wie hast du bemerkt, was … was ich getan habe?« fragte sie.
Karl Haußmann zuckte zusammen.
»Fräulein Gronau entdeckte es.«
»Marion? Was hatte sie denn in unserem Schlafzimmer zu suchen?«
»Sie sah den Schlüssel von draußen stecken, und die Tür war nur angelehnt. Das kam ihr komisch vor. Und ich hatte ja einen gehörigen Schwips, als ich 'raufkam.« Haußmann sah in sein Glas. Die Minuten der damaligen Nacht kamen aus der Erinnerung zurück, bedrückend und anklagend. »Sie sah dich halb aus dem Bett hängen. Da hat sie mich geweckt. Zuerst wußte ich gar nicht, was los war. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Dann hat Hellberg den Arzt geholt, und Fräulein Gronau hat sich rührend um dich gekümmert. Ich war ja unfähig dazu …«
»Dann verdanke ich also ihr, daß ich lebe?«
»Gewissermaßen ja.«
Erika schwieg. Warum hat sie mich nicht sterben lassen, dachte sie verwundert. Der Weg zu Karl wäre doch dann frei gewesen. Oder war es ihr bloß unangenehm, auf solche Weise das Erbe antreten zu können?
Als sie nach Avezzano zurückkamen, erwarteten sie zwei Männer in hellbeigen Maßanzügen. Sie saßen vor dem Gasthaus bei einer Flasche Wein und erhoben sich sofort, als der Wagen mit den Mauleseln hielt.
»Dolcare«, stellte sich der erste der Männer vor. »Polizeiinspektor Dolcare aus L'Aquila. Das ist mein Assistent Falcioni.« Dolcare sprach ein holpriges Deutsch, durchsetzt mit italienischen Ausdrücken, aber man konnte ihn gut verstehen. »Prego, nicht erschrecken, Signora. Nur eine kleines Frage. Formsache, wie man sagt. Können wir nehmen Platz an dieses Tisch?«
»Ich weiß zwar nicht, daß wir Apfelsinen geklaut haben«, sagte Karl Haußmann mit gezwungenen Humor, »aber wenn es nötig ist: Bitte, ich gestehe alles.« Er lachte laut. Man setzte sich an den runden Tisch, der Wirt brachte noch zwei Gläser, und zuerst trank man gemeinsam ein Glas Wein. Das hebt die Stimmung und macht freier.
»Nur einiges Fragen, Signore«, sagte Inspektor Dolcare und zog aus der Tasche einen Brief. Es war ein amtliches Schreiben, wie Haußmann am Kopf und an den Stempeln sah. »Welches Wagen fahren Sie?«
»Type oder Nummer?«
»Due, Signore.«
»Ich habe einen hellblauen Mercedes 220 mit der Nummer GE – MZ 921.«
»Und wo ist Wagen jetzt?«
»Aha!« Haußmann sah Erika an. »Da hat der Frank einen Unfall gebaut, paß mal auf.« Und zu Dolcare sagte er: »Wenn alles normal verlaufen ist, muß er längst in Bari sein.«
»Ist er, Signore.«
»Und dort hat's geknallt.«
»Prego? Ich nicht …« Dolcare hob beide Hände.
»Ein Unfall? Bum. Aus!« Haußmann ließ beide Fäuste
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