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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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achtet überhaupt nicht auf die
Dornen. Bestimmt bekommen die Kleinen viele Stiche ab, aber offensichtlich tragen sie weder Verletzungen noch Schmerzen davon. Während wir die Dornen fürchten und auf jeden Schritt achtgeben.
    Zum Ausgleich konzentrieren wir uns auf die leuchtenden Blumen, die einen wunderbaren pfirsichfarbenen Nebel verbreiten, der keineswegs giftig, sondern lieblich riecht und schmeckt und uns besänftigt. Zweifellos beherrscht Mutter die Kunst der Verführung.
    Bald darauf gelangen wir zu einem Hohlraum, geschützt von einem Dickicht dunkelgrüner Zweige – einer Laube . Und in deren Mitte erhebt sich ein gepolstertes Podest, auf dem ein bestürzend anziehendes Geschöpf aus Fleisch und Blut ruht, das Gesicht von den Neuankömmlingen abgewandt. Es kehrt uns zwar den Rücken zu, aber wir merken trotzdem, dass dieses Wesen weiblich ist. Anfangs frage ich mich jedoch, ob es überhaupt menschliche Züge besitzt. Diese Frau ähnelt einer Schlange, aber dagegen sprechen die zahlreichen Brüste, die wie Früchte aus den fleischigen Ringen des Oberkörpers ragen und kleinere, jüngere Versionen unserer Begleiterinnen stillen.
    Der wohlriechende, Nahrung spendende Körper ist perfekt auf seine Funktionen abgestimmt. Dieses weibliche Wesen besitzt eine gewisse Bewegungsfreiheit, und wenn weitere Bewegungen erforderlich sind, hat es die Mädchen zur Hand. Den Nachwuchs. Die Kinder, die ständig neu herangezüchtet werden, damit sie diejenigen ersetzen, die bei der Durchführung mütterlicher Aufträge ums Leben gekommen sind. Fehlen der
Mutter diese Kinder, wenn sie sterben? Aber sicher ist ihr die niemals endende Arbeit wichtiger.
    Irgendwann wendet sie den Kopf (der im Verhältnis zu dem gewaltigen, sich langsam entrollenden Körper klein wirkt) und zaubert ein wohlwollendes Lächeln hervor, das ihr Gesicht aufstrahlen lässt.
    Abwarten.
    Die von Düften geschwängerte Luft setzt mir zu.
    Ich kenne dieses Gesicht.
    Nein, bitte nicht! Nur das nicht!
    Wir sind angekommen!
    Das Gesicht ist das der Frau in meiner Traumzeit. Das Gesicht der mir bestimmten Gefährtin, die ich umarmen werde, sobald wir zu unserer neuen Welt fliegen. Alles kehrt zurück, der Traum überflutet mich wie eine warme Welle. Ich fühle mich wie im Rausch und spüre dabei eine solche Übelkeit, dass ich mich krümme und hin und her winde. Als die Mädchen mich festzuhalten versuchen, wehre ich mich dagegen, trete um mich, stoße sie mit Händen und Füßen weg.
    Erneut verhalte ich mich wie ein Neuankömmling in dieser Welt, der frierend und unglücklich aus einem Schoß, in dem er nichts von seinem künftigen Schicksal ahnte, in eine schockierende Realität gestoßen wurde. Ich will zurück in das frühere Stadium der Unwissenheit, als ich noch keine Worte für dieses Elend hatte. Das hier kann nur eine Täuschung, kann nicht sie sein! Ein Frevel! Nicht einmal unsere Gegner würden ihr und mir das antun!

    Nichts auf diesem kranken, bizarren, sterbenden Schiff hat mich, hat uns auf ein solches Leben vorbereitet. Man wirft uns in die Welt und will uns gleich darauf töten. Zugleich liegt dieses Schiff als einzige Schutzwand zwischen uns und dem Vakuum, der Strahlung und dem vernichtenden Staub und ähnelt darin einem Gehäuse, das hirnlose Mollusken umhüllt.
    Die Mädchen entpuppen sich als verblüffend stark. Kim verhält sich eindeutig passiv, zeigt, dass er keinen Widerstand leisten will, indem er die Hände mit nach außen gekehrten Handflächen in die Luft streckt. Offenbar schockiert es ihn, dass ich wild um mich schlage. Doch vorläufig schenken ihm die Mädchen gar keine Beachtung, sondern scharen sich um mich. Schließlich schaffen sie es, mich zu überwältigen – was für mich nicht ohne Schmerzen abgeht und mich ins Schwitzen bringt.
    »Am besten Ruhe bewahren!«, raunt Kim mir zu. »Das sind Kobras , genau wie du gesagt hast …«
    Auf ein einziges Wort hin (das die Lippen in dem mir bekannten Gesicht leise murmeln) bringen die Mädchen mich leicht widerstrebend zu derjenigen, deren Symbol ich seinerzeit an der Schachtwand von 01 entdeckt habe. Mit Blut gezeichnet. Zu derjenigen, die absolute Loyalität von denjenigen erwarten kann, die meine Geburt überwacht haben.
    Sogleich taucht bei mir die nächste Frage auf: Wie bin ich gezeugt worden? Ist es möglich, dass dieses Wesen meine Traumgefährtin und zugleich meine Mutter ist?

    Meine Haltung ist aggressiv, denn dieses Trugbild ist mir völlig zuwider: Ich lege den Hals

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