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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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und nach links gegen die Schachtwand gedrückt werde. Schnell hake ich Hände und Zehen wieder um die Sprossen.
    Als das letzte Gefühl von Schwere gewichen ist, richte ich die Füße zur Schachtmitte aus, im rechten Winkel zu den Sprossen, und steige weiter empor. Es ist fast so, als ginge ich auf den Händen.
    Fast so, als wäre ich eine Spinne .
    Dieses Wort und das Bild, das es vermittelt – das Bild einer Kreatur, die sich an einem klebrigen Faden vorwärtsbewegt und Netze spinnt –, machen mir Gänsehaut. Allerdings weiß ich gar nicht genau, was Spinnen sind, welche Größe sie haben und woher sie stammen. Vielleicht hat eine Spinne meine Gefährten
geschnappt. Doch je mehr ich in meinem Gedächtnis krame, desto fester bin ich davon überzeugt, dass Spinnen dazu zu klein sind. Unheimlich sind sie mir trotzdem.
    Vielleicht bin auch ich in diesem seltsamen Leben ein winziges Lebewesen?
    Ich hasse die Ungewissheit. Wer oder was auch immer mich, uns aus dem Schlaf gerissen hat – einen Gefallen hat er oder es uns damit nicht getan. Zu was sind wir gut? Vielleicht besteht unser einziger Daseinszweck darin, dass man uns wegscheucht, nach uns schlägt und schließlich tötet – so zerquetscht wie Fliegen.
    Spinnen fressen Fliegen.
    Igitt!
    Doch bislang bin ich ihnen entkommen und habe auch die Kälte überlebt. In diesem Teil des Schachts scheint eine recht gleichmäßige Temperatur zu herrschen. Vielleicht verfügt das Zentrum über stabilere Umgebungsbedingungen als der Rest des Schiffes?
    Die winzigen, in die Schachtwände eingelassenen Lämpchen werden kurzzeitig trüber, doch bald darauf funkeln sie wieder. Die Abstände zwischen Helligkeit und Zwielicht kommen mir völlig regellos vor. So viel zur Stabilität …
    Ich habe mich so lange auf den Aufstieg konzentriert, dass ich erst, als ich nach unten greife, um mich an der Hüfte zu kratzen und die Hosen heraufzuziehen, auf ein Wandstück in der Nähe blicke, das etwa einen Meter links von mir liegt. Irgendetwas ist dort eingeritzt. Dann fallen mir viele weitere Kratzer auf, die
in einem unregelmäßigen – mal nach oben, mal nach unten ausbrechenden – Kreis rund um den Schacht verlaufen. Außerdem sind an einigen Stellen tiefere Furchen zu erkennen.
    Irgendein kräftiges Geschöpf mit starken Klauen hat hier offenbar innegehalten und sich wegen der Rotation an die Wände geklammert. Etwas so Großes, dass es der Breite nach den ganzen Schacht ausfüllte, der hier einen Durchmesser von etwa fünf Metern hat. Vielleicht ist es an dieser Stelle abgestürzt und wurde von den Reinigungskräften entsorgt?
    Oberhalb des Kreises aus Kratzern kann ich etwas Kleineres ausmachen, eine Stelle mit unregelmäßigen Linien. Neugierig kehre ich um und hangele mich hinüber, um sie zu untersuchen.
    Es ist eine Zeichnung. Eine Zeichnung, die mit dunkler, längst getrockneter Farbe ausgeführt wurde. Oder mit etwas anderem. Kaum merklich hängt der Geruch schon seit meiner Ankunft in der Luft des Schachts, aber ich habe mich redlich bemüht, ihn gar nicht zu beachten. Es ist der Geruch menschlichen Blutes.
    Nutze stets das, was du bei dir hast …
    Die Zeichnung ist grob und simpel. Vielleicht ist es auch gar keine Skizze, sondern ein Erkennungszeichen? Da das Licht schon wieder schwächer wird, muss ich meinen Blick so konzentrieren, dass mir die Augen wehtun. Schließlich strecke ich mich aus, verhake einen Fuß unter einer Sprosse und lasse mich baumeln. Mit Hilfe meiner Muskeln bewege ich mich so vorwärts, dass ich die Stelle unmittelbar vor Augen habe.

    Die Zeichnung zeigt eine plumpe, fast rundliche Gestalt, die menschlich sein könnte. Allerdings ist der kleine, runde Kopf nicht mit Gesichtszügen versehen, mal abgesehen von einer Linie dort, wo normalerweise die Augen sitzen. Die Beine sind stämmig und laufen unten in einem einzigen Punkt zusammen, Füße sind nicht zu erkennen. In der Nähe entdecke ich einen kaum zentimeterbreiten Fleck – einen Fingerabdruck. Zum Vergleich presse ich meinen Zeigefinger dagegen: Diese Linien hat ein viel kleinerer Finger gezogen. Ein in Blut getauchter Finger.
    Hat das kleine Mädchen diese Zeichnung an der Wand hinterlassen? Und wenn ja, warum?
    Unterhalb des runden Kopfes ragen kleine Beutel aus dem stämmigen Körper heraus. Zwölf Brüste, in Viererreihen untereinander angeordnet. Brustwarzen fehlen bei den meisten. Vermutlich ist dafür keine Zeit geblieben.
    Langsam schwenke ich herum. Fünfzig oder sechzig Zentimeter

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