Das Schiff - Roman
hierhergebracht haben …«
Ich habe das überaus seltsame Gefühl, dass keiner weiß, von was ich rede. »Es waren zwei Männer bei dir: einer mit einem Knochenkamm im Gesicht und ein anderer mit brauner Haut und rötlichen Markierungen. Du hast sie Picker und Satmonk genannt. Vorher war noch ein Dritter dabei, ein Blauschwarzer – du hast ihn Pushingar genannt –, aber der wurde umgebracht und landete wie ein Pfropfen in der Öffnung meiner Seifenblase. Wahrscheinlich habe ich nur deswegen überlebt. «
Der Junge schnaubt verächtlich. »Der tickt ja nicht ganz richtig!«
»Es gibt hier Türen, viele Türen«, wiederholt die Frau. »Aber die Reiseleitung wünscht uns allen den Tod. Sie will, dass man uns beseitigt.«
Zum ersten Mal höre ich von der Reiseleitung .
»Allerdings möchte jemand anderes, dass wir überleben«, fährt die Frau fort. »Das ist alles, was ich weiß. Ich hab lauter unnütze Dinge im Kopf.«
»Kennst du mich denn wirklich nicht?«, frage ich das Mädchen leise.
»Nein.« Die Kleine sieht mich dabei nicht einmal an.
»Warst du es, die die Zeichnung im Schacht hinterlassen hat?« Ich male die Umrisse in die Luft.
»Nein.«
»Los, wir zeigen es ihm«, drängt der Junge die beiden anderen, aber offensichtlich tut er das nicht mir zuliebe. Er klingt so, als langweilte er sich schon eine ganze Weile und suchte nach irgendeiner interessanten Abwechslung.
Das gefällt mir ganz und gar nicht. » Was wollt ihr mir zeigen?«, hake ich trotzdem nach.
»Es gibt hier jede Menge zu essen«, lenkt die Frau ab. »Und so nahe am Zentrum herrscht auch kein Mangel an Wasser. Deine Versorgung wird uns also keine Mühe machen. Allerdings wirst du uns auch kaum nützen, es sei denn, du weißt etwas, das du uns noch nicht erzählt hast. Wo ist dein Buch?«
Ich kann nur mit dem Kopf schütteln. »Ich habe dein Buch mit mir herumgeschleppt«, sage ich zu dem Mädchen. »Aber während ich schlief, ist jemand gekommen und hat es mir weggenommen.«
Endlich dreht sich die Kleine zu mir um. »Du hast es verloren?«, fragt sie, plötzlich wütend.
»Ja. Da ist so ein silbernes Geschöpf aufgetaucht und …«
»Hier gibt es überhaupt nichts Silbernes«, fährt der Junge dazwischen. Das ständige Lächeln ist wie weggewischt. »Keine Roboter, keine Wesen aus Metall. Jedenfalls hat das der Lehrer gesagt. Aber jetzt ist er verschwunden. Und du bist nicht der Lehrer.«
»Wie viele Einkerbungen hatte das Buch?«, will das Mädchen wissen.
»Sieben große, mit jeweils sieben Kratzern – insgesamt neunundvierzig.« Auf einmal fühle ich mich einsam und verlassen. Mir ist klar, dass ich genauso gut an Ort und Stelle sterben kann, falls diese Menschen mich nicht akzeptieren.
»Das Mädchen war mehr wert als alle Versionen von dir«, erklärt die Kleine. »Aber du hast auch das Mädchen verloren.«
»Wir schlafen einfach zu viel, das ist unser Problem«, bemerkt die Frau und lächelt mich dabei einigermaßen freundlich an, als wäre sie mir gegenüber jetzt zugänglicher. Oder inzwischen eher bereit, ein weiteres Mitglied in diese seltsame kleine Gemeinschaft aufzunehmen.
»Es gibt ja noch andere Bücher«, sagt der Junge zu dem Mädchen. »Zeig sie ihm.«
Die Frau winkt mich derweil zur angrenzenden Tür, die sich soeben vor mir geöffnet hat und hinter mir sofort wieder schließt. Dieses Zimmer ist sehr hell und vollkommen leer – ich kann weder Schlafstellen noch Säcke entdecken. Das gleichmäßig verteilte Licht ist so grell, dass ich die Ausmaße des Raums nicht richtig abschätzen kann.
»Anscheinend hält man dich hier für irgendwie nützlich«, erklärt die Frau. » Also los. Nicht weit von hier ist ein Raum, den du dir sowieso irgendwann anschauen musst.«
»Der wird dir nicht gefallen«, bemerkt der Junge, der uns zusammen mit dem Mädchen nachgekommen ist, hämisch grinsend. Er ist mir wirklich zuwider.
»Ich habe überhaupt nichts gezeichnet«, erklärt das Mädchen völlig unvermittelt.
»Schon gut.«
Eine merkwürdige Gruppe. Niemand hat mir zur Begrüßung die Hand gereicht oder auf andere Weise körperlichen Kontakt zu mir hergestellt; und sie nennen einander auch nicht bei Namen. Seltsam, dass mir gerade das auffällt, schließlich kenne ich nicht einmal meinen eigenen Namen. Offenbar sind solche Gedächtnislücken hier völlig normal. Vielleicht wird das Mädchen mir irgendwann einen Namen geben, wie den anderen zuvor.
Nur sind alle, denen sie Namen gegeben hatte, mittlerweile
Weitere Kostenlose Bücher